Betreff
Anregung nach § 24 GO NRW: Einrichtung Tempo 30 Baustraße zwischen 22.00 und 06.00 Uhr
Vorlage
WP 14-20 SV 66/130/1
Aktenzeichen
IV / 66.1 / Sm.
Art
Anregung/Beschwerde nach § 24 GO NRW
Referenzvorlage
Untergeordnete Vorlage(n)

Begründung:

 

Für einige Straßen wurde diese Lärmschutzmaßnahme schon umgesetzt, nicht jedoch für die Baustraße im Bereich der Einmündung Grünstraße.

(…)


Antragstext:

 

Es wird der Antrag gestellt, zur Herbeiführung eines dringend erforderlichen Lärmschutzes ab 22.00 Uhr den Straßenverkehr auf der Baustraße in Höhe der Grünstraße 27 dadurch zu beruhigen, dass in der Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr in dem genannten Bereich nur noch ein Tempo von 30 km/h zulässig ist.


Zusätzliche Stellungnahme der Verwaltung:

 

In der Stellungnahme der Verwaltung zur SV 66/130 wurde erläutert, dass das Tiefbau- und Grünflächenamt als Straßenverkehrsbehörde bei der derzeitigen Faktenlage nicht befugt ist, die angeregte Geschwindigkeitsbegrenzung zu realisieren.

 

Der Stadtentwicklungsausschuss hat mehrheitlich aber der Anregung stattgegeben. Um hier zu einer rechtskonformen Entscheidung zu kommen, wird die Sitzungsvorlage um zusätzliche Erläuterungen ergänzt.

 

1. Kurzdarstellung der Erläuterung

 

Das Tiefbau- und Grünflächenamt als Straßenverkehrsbehörde ist auf der Basis von §45 Straßenverkehrsordnung unter bestimmten Randbedingungen befugt, Geschwindigkeitsbeschränkungen zum Lärmschutz vorzunehmen. Dabei handelt es sich um einen rechtsgebundenen Verwaltungsakt, welcher einer freien (mehrheitlichen) politischen Entscheidung nicht zugänglich ist.

 

Voraussetzung für eine (positive) Entscheidung der Straßenverkehrsbehörde ist die Überschreitung von Lärmwerten nach der Lärmschutzrichtlinie-StV. Die dazu notwendige Lärmberechnung muss nach einem bestimmten Verfahren (RLS-90) erfolgen. Solche Berechnungen liegen nicht vor.

 

Hilfsweise wurden die Ergebnisse der Berechnungen aus der Lärmaktionsplanung herangezogen. Da diese keine Hinweise auf eine Überschreitung der Lärmgrenzwerte geben, kann die Straßenverkehrsbehörde keine Geschwindigkeitsbeschränkung anordnen. Die Anregung nach §24 GO wäre abzulehnen.

 

Wenn der Sachverhalt weiter geprüft werden soll, müsste die vorgenannte Berechnung nach RLS-90 durchgeführt werden. Die Kosten werden auf 3.000€ geschätzt. Die Mittel wären im Budget des Tiefbau- und Grünflächenamtes verfügbar.

 

Es ist eine Zurückverweisung an den Stadtentwicklungsausschuss angezeigt, um zu einer rechtlich tragfähigen Entscheidung zu gelangen.

 

2. Ausführliche Sachdarstellung

 

-Die Stadt Hilden ist als Straßenverkehrsbehörde für die Anordnung von Verkehrszeichen auf den kommunalen Straßen zuständig.

-Rechtsgrundlage für die Anordnung von Verkehrszeichen ist die Straßenverkehrsordnung (STVO)

- Nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 STVO können die Straßenverkehrsbehörden Nutzungsbeschränkungen zum Schutz vor Lärm vornehmen:

Die Straßenverkehrsbehörden können die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Das gleiche Recht haben sie

1.         zur Durchführung von Arbeiten im Straßenraum,

2.         zur Verhütung außerordentlicher Schäden an der Straße,

3.         zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen

-Diese Befugnis wird durch § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO hinsichtlich Beschränkungen des fließenden Verkehrs dahin modifiziert, dass Voraussetzung hier eine besondere örtliche Gefahrenlage ist, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der Wohnbevölkerung durch Lärm und Abgase erheblich übersteigt.

Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist. Dabei dürfen Gefahrzeichen nur dort angeordnet werden, wo es für die Sicherheit des Verkehrs erforderlich ist, weil auch ein aufmerksamer Verkehrsteilnehmer die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig erkennen kann und auch nicht mit ihr rechnen muss. Insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt.

Diese Voraussetzung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (seit Urteil vom 4. Juni 1986 - 7 C 76.84 - BVerwGE 74, 234) dann erfüllt, wenn Lärm oder Abgase Beeinträchtigungen mit sich bringen, die jenseits dessen liegen, was unter Berücksichtigung der Belange des Verkehrs im konkreten Fall als ortsüblich hingenommen und damit zugemutet werden muss.

Für die Beurteilung der Frage, wann die Zumutbarkeit einer Lärmbelastung im Zusammenhang mit dem Eingreifen der Ermächtigungsgrundlage nach § 45 Abs. 9 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO überschritten wird, können die Immissionsgrenzwerte des § 2 Abs. 1 der Verkehrslärmschutzverordnung (16. Verordnung zum Bundes-Immissions-schutzgesetz - 16. BImSchV -) als Orientierungspunkte herangezogen werden (BVerwG, Urteil vom 22. Dezember 1993, a. a. O.; Bay. VGH, Urteil vom 21. März 2012, a. a. O., Rn. 28). Wenn diese Schwelle der Lärmbelastung erreicht ist, sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Tätigwerden der Straßenverkehrsbehörde erfüllt und die Behörde hat dann unter Gebrauch ihres Ermessens über Beschränkungen des fließenden Verkehrs zu entscheiden bzw. ist auf entsprechenden Antrag hin dann zu einer Ermessensentscheidung verpflichtet.

Weitere Entscheidungsgrundlagen sind die Richtlinien für straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm (Lärmschutz-Richtlinien-StV (s. Anlage)) sowie die Richtlinien für Lärmschutz an Straßen (RLS 90).

Die vorgenannten Voraussetzungen für eine Entscheidung der Straßenverkehrsbehörde im Sinne der Antragstellung sind jedoch nicht gegeben.

Die 16. BImSchV gilt nur für Straßenneubauten. Insofern können die dortigen Grenzwerte nur als Orientierungspunkt herangezogen werden.  Sie liegen in allgemeinen und reinen Wohngebieten (wie die Lage des Hauses des Antragstellers) 59 dB(A) am Tage und 49 dB(A) in der Nacht. Werden diese Werte nicht überschritten, so gibt es nach derzeitiger Rechtsprechung keinerlei Anspruch gegen die Straßenverkehrsbehörde auf Tätigwerden (s. z.B. VG Oldenburg (Oldenburg) 7. Kammer, Urteil vom 13.06.2014, 7 A 7110/13).

Die Lärmschutz-Richtlinie-StV gilt dagegen für Bestandsstraßen.  Dabei gelten dort folgende Richtwerte: In reinen und allgemeinen Wohngebieten,  70 dB(A) zwischen 06.00und 22.00Uhr (tags), 60 dB(A) zwischen 22.00 und 06.00Uhr (nachts)".

Für den „Lärmaktionsplan Stufe II gemäß § 47 BImSchV für die Stadt Hilden“ wurden Lärmberechnungen für diverse Straßen erstellt. Dazu gehört auch der Straßenbereich, in dem das Haus des Antragstellers steht.

Grundlage der Berechnung zur Ermittlung der Lärmbelästigungen an Straßen ist gemäß §5Abs.1 der 34. Verordnung zum Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchV) die „Vorläufige Berechnungsmethode für den Umgebungslärm an Straßen“ (VBUS). Zudem erfolgt die Ermittlung der Belastungszahlen auf Grundlage der „Vorläufigen Berechnungsmethode zur Ermittlung der Belastungszahlen durch Umgebungslärm“ (VBEB).

Die Berechnungen liefern Lärmwerte von 50-55 dB (A) nachts und 60-65 dB (a) tags.

Auch wenn für die Lärmaktionsplanung ein anderes Lärmberechnungsverfahren eingesetzt werden muss als bei der Lärmschutz-Richtlinie-StV, so sind nach hiesigem Kenntnisstand die Ergebnisse vergleichbar.

 Dies vorausschickend liegen die Berechnungswerte unterhalb der Orientierungswerte aus den Lärmschutz-Richtlinien-StV. Da diese Orientierungswerte von 70 dB(A) tags sowie 60 dB(A) nachts nicht überschritten werden, kommt hier ein gebundener Anspruch des Antragstellers auf straßenverkehrsbehördliches Einschreiten i. S. v. § 45 StVO nicht in Betracht.

Die geringfügige rechnerische Überschreitung der Orientierungswerte aus der 16. BImSchV führt nicht dazu, dass ein unterhalb dieser Werte grundsätzlich nicht gegebener Anspruch auf Überprüfung und Ermessensbetätigung der Straßenverkehrsbehörde hier etwa in einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Straßenverkehrsbehörde umschlagen könnte. Denn nach o.g. Nr. 3 der Lärmschutz-Richtlinien-StV soll durch etwaige straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen der Beurteilungspegel unter den Richtwert abgesenkt, mindestens jedoch eine Pegelminderung von 3 dBA bewirkt werden.

Die Ergebnisse von RLS-90 Berechnungen im Rahmen der Lärmaktionsplanung an anderen Straßen in Hilden lassen jedoch den Schluss zu, dass eine solche Absenkung mit der beantragten Geschwindigkeitsbeschränkung nicht zu erreichen ist.

Zusammenfassend ist also derzeit davon auszugehen, dass die straßenverkehrsrechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung von geschwindigkeitsbeschränkenden Maßnahmen nicht vorliegen. Insofern wäre eine Umsetzung des Beschlusses aus hiesiger Sicht nach derzeitiger Datenlage rechtsfehlerhaft. Eine andere Sichtweise wäre nur dann denkbar, wenn RLS-90 Berechnungen zu einem deutlich anderen Ergebnis führen würden.

Vor diesem Hintergrund sollte eine Zurückverweisung an den Stadtentwicklungsausschuss erfolgen. Dort könnte dann entschieden werden, ob eine Berechnung nach RLS-90 durchgeführt werden soll. Die Kosten werden auf 3.000€ geschätzt. Die Mittel wären im Budget des Tiefbau- und Grünflächenamtes verfügbar.

 

 

Birgit Alkenings