Betreff
SGB II Aufgabenträgerschaft - Stellungnahme der Stadt Hilden
Vorlage
WP 09-14 SV 50/018
Aktenzeichen
III/50 Kl.
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag:

 

 

Der Sozialausschuss der Stadt Hilden empfiehlt dem Kreistag, von der Optionsbewerbung Abstand zu nehmen und  die erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit in einer Gemeinsamen Einrichtung fortzuführen.

 

 


 

Erläuterungen und Begründungen:

 

            Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit seiner Entscheidung vom 20.12.2007 festgestellt, dass die mit dem „4. Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ im Rahmen des Sozialgesetzbuches II (SGB II) neu eingeführten Arbeitsgemeinschaften (ARGEN) verfassungswidrig sind. Die im Grundgesetz normierte eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung von Bund, Ländern und Kommunen widerspreche den Mischverwaltungen aus Bund und Kommunen. Da der Kreis Mettmann nicht zu den bundesweit 69 „zugelassenen kommunalen Trägern“ zählte, die seinerzeit die Optionslösung favorisierten, sondern sich bewusst für eine Zusammenarbeit von Kommune und Bundesagentur entschieden hatte, war und ist auch der Kreis Mettmann von diesem Urteil und seinen Konsequenzen betroffen.

 

Der Bundesgesetzgeber wurde in dem o. a. Urteil aufgefordert, bis zum 31.12.2010 eine verfassungskonforme Lösung vorzulegen. Im Zuge der Beratungen hatte die Bundesregierung am 25. Januar 2010 zur Neuordnung der SGB II-Aufgabenträgerschaft einen Referentenentwurf vorgelegt, der die Fortführung der bisher 69 zugelassenen Optionslösungen ermöglichen sollte, daneben aber für alle anderen Kommunen nur eine getrennte Aufgabenwahrnehmung vorsah. Dies hätte zur Folge gehabt, dass die bisherige Zusammenarbeit von Kommunen und Arbeitsagenturen nicht mehr hätte fortgesetzt werden können. Die Leistungen für die Langzeitarbeitslosen wären nicht mehr „aus einer Hand“, sondern im Wege von je eigenen Anträgen und Bescheiden (einschließlich Widerspruchsverfahren) in zwei verschiedenen Behörden abzuhandeln gewesen. Auch unter der Maßgabe, diese Leistungen nach Möglichkeit organisatorisch unter einem Dach und – soweit vor dem Urteil des Verfassungsgerichtes möglich – in enger Zusammenarbeit anzubieten, hätte aus fachlicher Perspektive unvertretbare Nachteile für die betroffene Klientel bedeutet. Der Referentenentwurf geriet deshalb insbesondere in Fachkreisen zu Recht in die Kritik; angesichts der Nachteile der getrennten Aufgabenwahrnehmung wurde deshalb gefordert, alternativ mehr Optionsmöglichkeiten für die kommunalen Träger zuzulassen.

 

Die fachliche Kritik an der „getrennten Aufgabenwahrnehmung“ führte auf Bundesebene zu einem Überdenken der bisherigen Haltung. Im Ergebnis konnte ein Kompromiss erzielt werden, der den Weg zu einer Verfassungsänderung mit einem neuen Artikel 91 (e) Grundgesetz ebnete, der – anknüpfend an die bisherige Arbeitsgemeinschaft (ARGE) – zukünftig eine gemeinsame Einrichtung (g.E.) als Mischbehörde aus Bundes- und Landesbehörde erlaubt, in der die Agentur für Arbeit und der kommunale Träger ihre Aufgaben wahrnehmen und damit auch zukünftig Leistungen aus einer Hand für die Langzeitarbeitslosen erbracht werden können. Daneben wurde die Zahl der zugelassenen kommunalen Träger (Optionslösung) von bisher bundesweit 69 auf 110 erhöht. Das Land Nordrhein-Westfalen ist daran voraussichtlich mit 7 weiteren Optionsmöglichkeiten beteiligt.

 

Der Bundesrat hat in seiner Plenarsitzung vom 9. Juli 2010 das vom Bundestag vorgelegte Gesetz über die gemeinsame Aufgabenwahrnehmung der örtlichen Agenturen für Arbeit und der jeweils zuständigen kommunalen Träger im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende zugestimmt.

 

Ab dem 01.01.2011 wird es bundesweit nur noch zwei unterschiedliche Formen der Aufgabenwahrnehmung der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II geben:

1.      Der Regelfall der Wahrnehmung der Aufgaben durch eine gemeinsame Einrichtung der beiden Träger ("optimiertes" ARGE-Nachfolgemodell).

2.      Die Ausnahme der selbständigen Wahrnehmung aller Aufgaben nach dem SGB II durch die kommunalen Träger im Rahmen der Option.

Die getrennte Aufgabenwahrnehmung ist nicht mehr zulässig. Mit Änderung des Grundgesetzes durch Einführung des Art. 91e  ist die Möglichkeit geschaffen worden, dass bei der Aufgabenwahr-nehmung nach dem SGB II auch zukünftig Bund und Länder oder die nach Landesrecht zuständigen Kommunen zusammenwirken können. Die Aufgabenwahrnehmung in diesen Fällen erfolgt in gemeinsamen Einrichtungen und stellt den Regelfall dar.

Der Kreis Mettmann hat am 25.6.2010 ein Eckpunktepapier (Anlage)[1] vorgelegt, aus dem hervorgeht, dass er die Möglichkeit einer Option nutzen möchte.

Da es ist für den Kreis Mettmann selbstverständlich ist , die zehn kreisangehörigen Städte in die Entscheidungsbindung einzubinden,  hat der Landrat die Bürgermeister der kreisangehörigen Städte gebeten, bis Mitte Juli dazu eine Stellungnahme[2] abzugeben.

 

Am 30.6.2010 haben sich die Sozialdezernenten und Sozialdezernentinnen mit diesem Eckpunktepapier beschäftigt. Aus deren Sicht war das vorliegende Papier der Kreisverwaltung nicht ausreichend, um in dieser wichtigen Frage eine qualifizierte Entscheidung treffen zu können.

Daraufhin haben die Sozialdezernenten und Sozialdezernentinnen einen Fragekatalog (s. Anlage zur Kreisvorlage) erarbeitet. Die Stellungnahme des Kreises ist so dann in einer Sondersitzung am 26.7.2010  beraten worden. Das Ergebnisprotokoll dieser Sondersitzung vom 26.7.2010  ist als Anlage beigefügt.

 

Die Beratung im Kreissozialausschuss am 2.9.2010 wird ohne Beschlussempfehlung erfolgen; erst in der geplanten gemeinsamen Sitzung des Sozial- und des Kreissausschusses am 30.9.2010 wird eine solche Beschlussempfehlung für den Kreistag (Sitzung am 7.10.2010) abgegeben. Die Antragstellung auf Zulassung als Optionskommune bedarf nach § 6 b SGB II einer 2/3 Mehrheit des Kreistages.

Spätestens zur Sitzung des Kreistages sollen die Stellungnahmen der kreisangehörigen Städte vorliegen.

 

Daneben ist von der Stadt Hilden die Stellungnahme des Vorsitzenden der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Düsseldorf, Herr Jäger, eingeholt worden (s. Anlage zur Kreisvorlage)

 

Am 21.7.2010  wurde Ihnen in dieser Sache umfangreiches Informationsmaterial zur Vorberatung zugesandt.

 

Am 25.8.2010 wurde die Sitzungsvorlage des Kreises „Neuorganisation des SGB II im Kreis Mettmann“ Vorlagen Nr. 50/021/2010 (als Anlage beigefügt) den kreisangehörigen Städten zur Information zur Verfügung gestellt. Darin werden die Vorteile einer Option ausführlich dargestellt.

Sicherlich sind die Chancen eines Optionsmodells nicht zu verkennen, gleichwohl überwiegen aber aus Sicht der Verwaltung die erheblichen Risiken einer solchen Alternative.

 

  • Risiko Umstellungskosten, Umstellungsaufwand

     Durch die Umstellung auf das Optionsmodell entstehen erhebliche Kosten für den einmaligen Umstellungsaufwand und für die anschließenden höheren laufenden Folgekosten. Eine zentrale Anschubfinanzierung oder Kostenerstattung durch den Bund erfolgt nicht.

     Die Bundestagsauschüsse für Arbeit und Soziales, Finanzen sowie Innere Angelegenheiten gehen von einmaligen Kosten in Höhe von 150 € pro Bedarfsgemeinschaft (BGs) aus. Im Rahmen der SGB II-Einführung 2004 wurden Implementierungskosten in Höhe von 180 € pro Bedarfsgemeinschaft gerechnet. Bei 19.000 Bedarfsgemeinschaften (Stand 3/2010) liegen diese Kosten zwischen 2,8 Mio. € und 3,4 Mio. €.

     Der Kreis Unna hat aktuelle Umstellungskosten von 5 Mio. € ermittelt.

     Nach Auskunft der Agentur für Arbeit werden sämtliche Datensätze über einen elektronischen Transfer zur Verfügung gestellt. Der Kreis Mettmann prüft zurzeit, ob ein Softwareanbieter in der Lage ist, eine automatische Datenmigration tatsächlich herzustellen, ansonsten droht eine sehr kostenintensive manuelle Dateneingabe.

     Der Kreis Unna rechnet mit einem (befristeten zusätzlichen) Personalbedarf von 43 Vollzeitstellen, weil das vorhandenen Personal diese Arbeiten nicht leisten kann.

     Des weiteren ist zu berücksichtigen, dass im Falle einer Option die Einrichtung weitere Fachbereiche, bzw. Neustrukturierung von Aufgabenbereichen, die bislang in Kooperation mit der lokalen Arbeitsagentur oder als Dienstleistung durch die Bundesagentur abgedeckt wurden, zu einer kostenintensiven Organisationserweiterung führt.

     Es bestehen große Zweifel, ob der künftig wegfallende Betrag in Höhe von 1,24 Mio. €, wie von der Kreisverwaltung dargestellt, ausreichend ist, um diese vielfältigen Leistungen finanzieren zu können.

 

  • Risiko zusätzliche laufende Kosten

      Die Wahrnehmung der Option führt zu einer erheblichen und dauerhaften Erweiterung der Personalausstattung und der damit verbundenen Sachkosten. Der Kreis hat eine „besondere Einrichtung“ zu schaffen. Er muss eigenständige Strukturen entwickeln, da eine Inanspruchnahme bzw. Unterstützung durch die BA nicht mehr möglich ist. Auch hier sind Zweifel angebracht, ob die Personalmehrung lediglich die wenigen zusätzlichen Stellen beinhaltet, die der Kreis in seiner Sitzungsvorlage angibt.

 

      Das Gesetz verpflichtet bei einer Optionslösung den Kreis, die Beschäftigten der Bundesagentur, die zum Zeitpunkt der Zulassung mindestens 24 Monate bei der ARGE tätig waren, dauerhaft zu übernehmen. Ein Rückkehranspruch soll sich auf 10 % beschränken, so dass mindestens 90 % der Beschäftigten (125 Personen, Personalkosten 10.000.000 € pro Jahr) übernommen werden sollen.

      Die bisherige Kostenverteilung nach der der Bund 87,4 % der Personal- und Verwaltungskosten übernimmt, bleibt im Rahmen der zugeteilten Haushaltsmittel bestehen. Weitere Kostensteigerungen, durch z.B. Personalmehrung, würden somit nicht abgedeckt.

      Hinzukommt, dass die Frage der Übernahme der Versorgungsanwartschaften und Versorgungsrückstellungen der Beschäftigten des Bundes völlig ungeklärt ist.

 

  • Risiko Eingliederungsmittel         

Bei der Option hat der Kreis die alleinige Verantwortung für den Erfolg des Einsatzes des Eingliederungstitels und damit für die Vermittlung in Arbeit.

            Diese zunächst positiv zu sehenden Gestaltungsmöglichkeiten  werden allerdings durch die Vorgaben des BMAS und durch Zielvereinbarungen eingeschränkt werden.

            Die bereits jetzt durch die Bundesregierung angekündigten Kürzungen sowohl im Eingliederungstitel (EGT) als auch im Verwaltungskostenbudget können dazu führen, dass immer mehr Verwaltungskosten aus EGT finanziert werden (müssen).

             

            Durch diese Reduzierung ist somit zu beachten, dass weitere Kostensteigerungen der Verwaltungskosten durch Personalmehrbedarfe noch weitergehende Umschichtungen aus dem grundsätzlich deckungsfähigen Eingliederungstitel erforderlich machen können. Im Jahr 2008  wurden Umschichtungen aus dem EGT in das Verwaltungskostenbudget in Höhe von ca. 2,5 Mio. € vorgenommen.

 

     Bei einer ungünstigen Arbeitsmarktentwicklung könnte der Kreis zur Einhaltung der Zielvereinbarungen gezwungen  sein, den Eingliederungstitel durch eigene und durch  Kreisumlage finanzierte Mittel aufzustocken.

 

     Geht andererseits die Zahl der Bedarfsgemeinschaften aufgrund einer günstigen Arbeitsmarktentwicklung zurück, so kann das Personal nicht mehr in seiner Gesamtheit finanziert werden. Eine schnelle Anpassung des Personalkörpers würde eine hohe Zahl von befristeten Arbeitsverhältnissen erfordern. Es besteht das Risiko einer langfristigen Bindung an zusätzliches Personal, das nicht schnell genug vermindert werden könnte.

 

  • Risiko Arbeitsmarktintegration

      Eine erfolgreiche Arbeitsmarktintegration ist nicht nur eine lokale Herausforderung, sondern      erfordert die Betreuung eines überregionalen Arbeitsmarktes. Dabei handelt es sich um

      eine Kernkompetenz der Bundesagentur für Arbeit, deren Unterstützung bei den            Gemeinsamen Einrichtungen auch weiterhin uneingeschränkt zur Verfügung stehen würde.

      Schon jetzt wird durch den gemeinsamen Arbeitgeberservice von ARGE und Arbeitsagen-        tur eine erfolgreiche Arbeit geleistet. Es bestehen Zweifel, ob die kommunalen Wirtschafts-

      förderungsämter die erwähnte Kernkompetenz der Bundesagentur für Arbeit schnell     

      ersetzen können.

 

 

Bereits jetzt leistet die ARGE ME-aktiv, und dies kann im Rahmen einer Gemeinsamen Einrichtung partnerschaftlich und in geteilter Verantwortung weitergeführt werden, eine lokal und sozialraum-orientierte Arbeit. Die Kompetenzen der BA und der Kommunen ergänzen sich hierbei in gewachsenen Strukturen.

 

Die Option enthält aus Sicht der Verwaltung erhebliche finanzielle Risiken für den Kreis Mettmann und seine kreisangehörigen Gemeinden. Die Auswirkung auf die Kreisumlage heute und in der Zukunft ist bislang nicht bekannt.

 

 

Die nunmehr geschaffene gesetzliche Möglichkeit der Leistungserbringung aus einer Hand ermöglicht die  Fortführung der bisherigen erfolgreichen Arbeit der ARGE ME-aktiv. Hier teilen sich zwei Träger Erfolge und Risiken.

Es wird daher empfohlen, gemeinsam mit der Agentur für Arbeit die bisherige erfolgreiche Zusammenarbeit fortzuführen und keinen Optionsantrag zu stellen.

 

 

 

 

Gez. Horst Thiele

 

 

 

 

Anlagen:

  • Eckpunktepapier des Kreises vom 25.6.2010
  • Ergebnisprotokoll der Sonder-Konferenz der Sozialdezernenten/Fachbereichsleiter/innen vom 26.7.2010
  • Vorlage Rheinisch-Bergischer Kreis
  • Sitzungsvorlage des Kreises vom 19.8.2010 Vorlagen Nr. 50/021/2010 nebst folgenden Anlagen:         - Fragenkatalog der kreisangehörigen Städte nebst Antworten der Verwaltung des              Kreises Mettmann und der Antworten der Agentur für Arbeit

     

 



[1] In dieser Sitzungsvorlage wird auf verschiedene Anlagen verwiesen; diese sind im Anschluss einzeln aufgeführt.

[2] Das Gesetz selbst sieht eine Beteiligung oder Zuständigkeit für kreisangehörige Städte nicht vor.



Finanzielle Auswirkungen

 

 

Produktnummer

 

Bezeichnung

 

Investitions-Nr.:

 

 

Mittel stehen zur Verfügung:

 

 

 

Haushaltsjahr:

 

 

 

 

Der Mehrbedarf besteht für folgendes Produkt:

Kostenstelle

Kostenträger

Konto

Betrag €

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Deckung ist durch folgendes Produkt gewährleistet:

Kostenstelle

Kostenträger

Konto

Betrag €

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Finanzierung:

 

 

 

Vermerk Kämmerer:

Es entstehen finanzielle Auswirkungen (insbesondere über die Kreisumlage), die zum jetzigen Zeitpunkt nicht beziffert werden können.

Vor dem Hintergrund der dargestellten Risiken sollte dem Beschlussvorschlag der Verwaltung gefolgt werden.

 

Gesehen Klausgrete

 

 

 

 

 



Personelle Auswirkungen

 

Die personellen Auswirkungen sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar.

Im Stellenplan enthalten:

 

 

 

Planstelle(n):

 

 

 

Vermerk Personaldezernent

 

gesehen Danscheidt