Betreff
Antrag der SPD-Fraktion vom 31.05.2023: Die Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts stärkt unsere Demokratie
Vorlage
WP 20-25 SV 32/022
Aktenzeichen
II/32-MS
Art
Antragsvorlage

Erläuterungen zum Antrag:

 

Vor über 65 Jahren hat Deutschland erste Abkommen zur Anwerbung von Arbeitskräften unterzeichnet. Das erste mit Italien im Jahre 1955, gefolgt von Spanien und Griechenland (1960),

der Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und Jugoslawien (1968).

Doch schon vor dem ersten Weltkrieg zog es polnische Einwanderer zum Arbeiten ins Ruhrgebiet, die das heutige Gebiet von Nordrhein-Westfalen (NRW) zu ihrer neuen Heimat machten. Deutschland und insbesondere NRW sind also seit Jahrzehnten von Migration geprägt und das Zusammenleben unterschiedlicher Menschen gehört zum Alltag.

 

Auch die Zahlen belegen diesen Umstand. In NRW leben mehr als 5,6 Millionen Menschen mit einer Einwanderungsgeschichte (Stand 2021). Das sind 30,1 Prozent der nordrhein-westfälischen

Gesamtbevölkerung. In einigen Kommunen wie in Bielefeld beträgt der Anteil von Menschen mit Einwanderungsgeschichte über 40 Prozent, in Wuppertal 42,6 Prozent und in Düsseldorf 40,8 Prozent. Den höchsten Anteil in NRW weist Hagen mit 43,3 Prozent auf.

 

Trotz dieser längst gelebten Vielfalt entspricht das aktuelle Staatsbürgerschaftsrecht in Deutsch-

land, auch 20 Jahre nach seiner ersten grundlegenden Reform, noch immer nicht dieser gesellschaftlichen Realität.

 

Besonders im Bereich der Mehrstaatigkeit spiegelt die aktuelle gesetzliche Regelung weder die gelebte Vielfalt unserer Gesellschaft in Deutschland, noch die behördliche Praxis wider. Demnach erhalten nämlich bereits knapp die Hälfte der Antragsteller die doppelte Staatsbürgerschaft. Es herrscht ein rechtliches Wirrwarr, das zusätzlich zu einer Ungleichbehandlung von Menschen mit Einwanderungsgeschichte aus verschiedenen Ländern führt.

Während in Deutschland lebende Europäerinnen und Europäer sowie Bürgerinnen und Bürger aus weiteren Drittstaaten, z.B. Schweiz oder Marokko, – insgesamt bis zu 50 Nationen – zwei Staatsbürgerschaften innehaben dürfen, ist dies für andere Drittstaaten – darunter die Türkei, Lichtenstein und Norwegen – nicht möglich.

 

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die zunehmende Polarisierung unserer Gesellschaft. Die rassistisch motivierten Mordanschläge von Kassel, Halle und Hanau waren getragen von einer Gesinnung, die den Menschen unterschiedlicher Herkunft, Hautfarbe und Religion grundsätzlich ihr Lebensrecht in Deutschland abspricht. Wer die freiheitliche Demokratie und unsere offene Gesellschaft sichern und weiter ausbauen will, muss dieser Gesinnung entschieden entgegentreten – einerseits mit einer offenen Auseinandersetzung mit dem verbreiteten rechtsextremen, rassistischen und menschenfeindlichen Gedankengut, andererseits mit einer Stärkung der Rechte und Teilhabemöglichkeiten derjenigen, die die Zielscheibe rassistischer Ideologien und Aktionen sind.

 

Unsere Antwort auf die Versuche der Ausgrenzung von Minderheiten muss die Stärkung ihrer Zugehörigkeit sein.

 

Außerdem fordern wir, dass die Landesregierung innerhalb Nordrhein-Westfalens alle Möglichkeiten ausschöpft, um insbesondere der ersten Generation der Einwanderinnen und Einwanderer die Einbürgerung zu ermöglichen und damit endlich ihre außergewöhnliche Lebensleistung zu würdigen.

Die erste Einwanderergeneration aus den 60er und 70er Jahren aus der Türkei hatte bisher

nicht die Möglichkeit die Bürgermeisterin oder den Bürgermeister ihrer Kommune mit zu wählen.

Sie bleiben so von wesentlichen staatsbürgerlichen Rechten, wie dem Wahlrecht ausgeschlossen,

obwohl sie seit Jahrzehnten in Deutschland leben und entscheidend zum wirtschaftlichen Erfolg des Landes beigetragen haben. Gleichzeitig sind ihre Lebensentwürfe bis ins hohe Alter hinein durch eine hohe internationale Mobilität und das problemlose Leben in mindestens zwei Staaten gekennzeichnet, wodurch sie dem Prinzip der doppelten Staatsbürgerschaft am ehesten entsprechen.

 

Dem globalen und modernen Zeitgeist einer offenen, pluralistischen und demokratischen Gesellschaft, entspricht ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht, das gelebte Mehrfachidentitäten durch rechtliche Mehrstaatigkeit wiederspiegelt.

 

Der fortwährende Ausschluss einer großen Bevölkerungsgruppe von den vollen politischen, rechtlichen und ökonomischen Mitwirkungsmöglichkeiten zieht langfristig auch die Legitimität des demokratischen Staates in Mitleidenschaft. Keine demokratische Gesellschaft kann es dauerhaft

hinnehmen, wenn sich Wohnbevölkerung und Wahlbevölkerung in erheblichem Umfang voneinander unterscheiden. In Deutschland ist dies aber nach wie vor der Fall.

 

Die Ampel-Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag die Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts festgeschrieben. Sowohl das Bundesinnenministerium als auch die Staatsministerin für Integration haben im Auftrag des Bundeskanzleramtes Ende des vergangenen Jahres die Umsetzung dieses Vorhabens angekündigt. Die Novellierung sieht u.a. vor, dass die Aufenthaltsdauer bis zur Möglichkeit der Einbürgerung von acht auf fünf Jahre verkürzt wird.

 

Bei „besonderen Integrationsleistungen“ soll dies auch schon früher möglich sein. Bei Menschen

ab 67 Jahren soll es ausreichen, wenn sie sich mündlich im Alltag verständigen können. Der formelle Sprachtest und der Wissenstest über Deutschland sollen für diese Altersklasse wegfallen.

Diese Regelung soll vor allem ihrer besonderen Lebensleistung, ihrem Verdienst für den Mitaufbau der deutschen Wirtschaft und dem Eingeständnis, dass dieser Gruppe keine Integrationsangebote unterbreitet wurden, Rechnung tragen.

Mit der Reform soll zudem der Besitz mehrerer Staatsbürgerschaften erleichtert werden. Bisherige Staatsangehörigkeiten sollen grundsätzlich kein Hindernis mehr für eine Einbürgerung sein. Das gilt auch für Deutsche, die im Ausland eine weitere Staatsbürgerschaft erwerben wollen. Nach der neuen Regelung müssten sie nicht mehr ihre deutsche Staatsbürgerschaft abgeben. In Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern sollen außerdem automatisch Deutsche werden, wenn ein Elternteil bereits seit fünf Jahren seinen rechtmäßigen, gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik hat.

 

Die Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrecht verfolgt das Ziel angemessen auf die Bedürfnisse der großen Gruppen von Bürgerinnen und Bürgern zu reagieren, deren persönliche Identität sich aus mehr als einem kulturellen und nationalen Hintergrund speisen.

 

Die Verleihung der Staatsbürgerschaft öffnet den Weg zu einer umfassenden Teilhabe und Mitwirkung, von dem die deutsche Einwanderungsgesellschaft ebenso profitiert, wie die Eingebürgerten. Vor diesem Hintergrund liegt es im eigenen Interesse der Kommune und des Landes Nordrhein-Westfalen, die Zahl der Einbürgerungen deutlich zu erhöhen.

 

Die Stärkung der Bürger- und Teilhaberechte von Menschen ohne deutschen Pass stellen mithin einen wichtigen Ansatz dar, um den menschfeindlichen Ausgrenzungs- und Marginalisierungsversuchen rechtsextremer politischer Kräfte wirksam entgegenzutreten und den demokratischen Zusammenhalt in Vielfalt zu stärken.

 

Nicht zuletzt vor dem sich zuspitzenden Fachkräftemangel in fast allen Bereichen unserer Gesellschaft und Wirtschaft, spielt die Ermöglichung von Mehrstaatigkeit eine zusätzliche Rolle bei der Anwerbung von Fachkräften. Die Ermöglichung einer vollständigen gesellschaftlichen und rechtlichen Teilhabe, kann die Attraktivität des Standorts Deutschland zusätzlich steigern.


Antragstext:

 

Der Rat der Stadt Hilden möge beschließen:

 

1.         Die Initiative der Bundesregierung zu unterstützen und sich für ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht einzusetzen, das die gelebte Vielfalt in unserer Kommune abbildet.

 

2.         Gemeinsam mit der Landesregierung die Voraussetzungen für schnelle, vereinfachte Einbürgerungsverfahren zu schaffen. Das Land muss die Ausländer- und Einbürgerungsbehörden frühzeitig über den neuen rechtlichen Rahmen informieren und sie in die Lage versetzen auf die neuen Anforderungen reagieren zu können.

 

3.         Die Einbürgerungsbehörden müssen sowohl technisch als auch personell angemessen ausgestattet werden, um die voraussichtlichen Mehranträge bearbeiten und abschließen zu können. Dabei können Kommunen wie Bielefeld, die bei der Digitalisierung der Einbürgerungsbehörde vorangehen, als Beispiel herangezogen werden.

 

4.         Die landesrechtlichen Möglichkeiten voll auszuschöpfen, um im Sinne des § 2, Abs. 9 des

Teilhabe- und Integrationsgesetzes mehr Einbürgerungen, insbesondere für die ersten Generationen der Einwanderinnen und Einwanderer, zu ermöglichen.


Stellungnahme der Verwaltung:

 

Die SPD-Fraktion hat zu dem Thema „Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts“ vier Einzelanträge gestellt, wovon es sich allerdings nach Bewertung durch die Verwaltung zu den Ziffern 1 und 2 um keine Anträge im klassischen Sinne handelt, die für den Fall ihrer mehrheitlichen Annahme durch den Rat der Stadt Hilden ggf. zu konkreten Arbeitsaufträgen für die Verwaltung führen und somit die Aufgabenerledigung der Verwaltung unmittelbar betreffen würden.

Vielmehr wird um die (politische) Zustimmung des Rates zu der durch die Bundesregierung im Koalitionsvertrag vereinbarten, aber bislang legislativ noch nicht abschließend umgesetzten Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts gebeten. Zudem soll das Land Nordrhein-Westfalen aufgefordert werden, die Voraussetzungen für schnelle, vereinfachte Einbürgerungsverfahren zu schaffen und die Ausländer- und Einbürgerungsbehörden frühzeitig über die neuen rechtlichen Rahmenbedingungen zu informieren.

 

Zu diesen beiden Anträgen kann die Verwaltung keine inhaltlichen Stellungnahmen abgeben. Es liegt seit dem 19.05.2023 ein Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern und für Heimat vor. Das Gesetzgebungsverfahren steht somit gerade erst ganz am Anfang. Eine Bewertung dieses Entwurfes steht der Stadt Hilden (hier: Verwaltung) zunächst auch nicht zu. Die Stadt Hilden ist nicht die zuständige Behörde für die Einbürgerungsverfahren; dies ist der Kreis Mettmann.

Das Bürgerbüro der Stadt Hilden nimmt hier lediglich im Wege einer Vereinbarung, so auch in der Beantwortung einer Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema „Einbürgerungsverfahren“ vom 23.03.2023 mitgeteilt, auf freiwilliger Basis - zur Sicherstellung eines ortsnahen Services - Beratungsleistungen im Vorfeld, Prüfungen der Vollständigkeit der Anträge und schließlich die Aushändigung der Einbürgerungsurkunden für den Kreis Mettmann vor.

Auch ist die Stadt Hilden nicht zuständige Ausländerbehörde; dies ist ebenfalls der Kreis Mettmann, so dass auch zu dem Antrag zu Ziffer 2 keine weitere Stellungnahme erfolgt.

 

Zu den Ziffern 3 und 4 des Antrags nimmt die Verwaltung hingegen wie folgt Stellung:

 

Zu Ziffer 3:

 

Die in das Gesetzgebungsverfahren eingebrachte Novellierung zum Einbürgerungsrecht sieht u.a. eine Verkürzung des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland von bisher regelmäßig acht auf fünf und in bestimmten Ausnahmefällen sogar nur drei Jahren vor.

Auch wenn noch nicht absehbar ist, wie das Gesetz am Ende inhaltlich ausgestaltet sein wird, wird - auf Basis des vorliegenden Entwurfs - mindestens eine Verdoppelung der jährlichen Anträge prognostiziert.

 

Auch wenn die SPD-Fraktion in Ihrem Antrag eine angemessene personelle Ausstattung der Einbürgerungsbehörden (hier: Kreis Mettmann) fordert, gilt dies aufgrund der bereits beschriebenen Vorarbeiten und der Übernahme sämtlicher, persönlicher Bürgerkontakte im Rahmen des Einbürgerungsverfahren gleichermaßen auch für die Stadt Hilden (hier: Bürgerbüro). Für diese Tätigkeiten wird in Hilden aktuell eine Stelle im Umfang von 0,5 VZÄ vorgehalten und es zeigt sich, dass dies aufgrund der Entwicklung schon heute knapp bemessen ist. Hier ist demnach zu erwarten, dass die Novellierung des Staatsangehörigkeitsrechts weitere Stellenbedarfe auslösen wird, die zu entsprechend höheren Personalkosten für die Stadt Hilden führen werden. Beziffern lässt sich dies allerdings aktuell noch nicht, zumal weder die abschließende Gesetzesversion noch deren Auswirkungen bekannt sind. Hier gilt es die Entwicklung abzuwarten.

Die SPD-Fraktion fordert auch eine entsprechende technische Ausstattung der Einbürgerungsbehörden und verweist hierzu auf das Beispiel der Stadt Bielefeld, die ein digitales Angebot für das Antragsverfahren zu Einbürgerungen vorhält.

 

Dabei ist es für die Einzelperson möglich, in einem sog. Quick-Check-Verfahren zunächst zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für eine Einbürgerung grundsätzlich vorliegen. Dies bewertet die Verwaltung als Serviceangebot durchaus positiv.

In der Folge kann dann der Antrag unter Beifügung benötigter Dokumente online gestellt werden.

 

Die zuständige Abteilungsleitung im Bereich Einbürgerungen der Stadt Bielefeld berichtete auf Nachfrage, dass aufgrund fehlender Schnittstellen zum Einbürgerungsfachverfahren und aufgrund fehlender Plausibilitätsprüfungen - wie zum Beispiel im Elster-Verfahren realisiert -  jeder online eingereichte Antrag in ein vollständig manuelles Verfahren überführt wird, das unter anderem auf Basis des Ausführungserlasses eine Prüfung der Originale der ausländischen Pässe und Urkunden vorsieht.

In Bielefeld wird eine 25 - 30 %ige online-Quote gehalten. Die Qualität der eingereichten Anträge ist aufgrund fehlender Plausibilitätschecks schlecht, so dass in Bielefeld aktuell angestrebt wird, die aufgrund des online-Verfahrens reduzierte individuelle Vorberatungsleistung wieder zu intensivieren.

 

Der zuständige Kreis Mettmann steht im Gespräch mit dem Land NRW, um die Digitalisierung im Bereich der Einbürgerungen voranzutreiben. Es wurde zugesagt, die Stadt Hilden in die weitere Entwicklung einzubinden. Zum jetzigen Zeitpunkt scheint es geboten, als zuständige Einbürgerungsbehörde federführend den Kreis Mettmann in die Pflicht zu nehmen, eine möglichst sinnvolle, effiziente und vor allem einheitliche Digitalisierungslösung zu prüfen und zur Anwendung vorzuschlagen.

 

Zu Ziffer 4:

 

Die SPD-Fraktion beantragt auch, „die landesrechtlichen Möglichkeiten voll auszuschöpfen, um im Sinne des § 2 Abs. 9 des Teilhabe- und Integrationsgesetzes mehr Einbürgerungen, insbesondere für die ersten Generationen der Einwanderinnen und Einwanderer zu ermöglichen.“

 

Das Landesgesetz sieht in seinem § 2 Abs. 9 als einem Teilhabe- und Integrationsgrundsatz vor:

 

„Die Medienkompetenz der Menschen mit Einwanderungsgeschichte einschließlich des Zugangs zu digitalen Angeboten für ihre gesellschaftliche und politische Teilhabe ist zu stärken.“

 

Teilhabe und Integration wird in der Stadt Hilden gelebt und aktiv gestaltet. Die Arbeit des Integrationsbüros und des Integrationsbeirates trägt hierzu maßgeblich bei, gleiches gilt auch für das gesellschaftliche Miteinander auf vielen Ebenen, das Teilhabe und Integration in Hilden spiegelt und durch das Engagement diverser Akteure gestaltet. 

 

Dies ist und bleibt auch weiterhin ein wesentliches Ziel von Verwaltung und Politik.

 

Selbstverständlich umfasst dies auch die vollumfängliche Nutzung landesrechtlicher Möglichkeiten in monetärer und nicht-monetärer Art, dies gilt für alle Lebensbereiche, so auch für den Themenkomplex der Einbürgerungen.

 

Die Beschlussfassung zum vorliegenden Antrag der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Hilden wird anheimgestellt.

 

 

gez. Dr. Claus Pommer

Bürgermeister

 

 

 

      

  

 

 

 

 

 

 

 

      

 

Klimarelevanz:

 

Der vorliegende Antrag hat keine Klimarelevanz.