Erläuterungen zum
Antrag:
Vor über 65 Jahren hat Deutschland erste Abkommen zur Anwerbung von
Arbeitskräften unterzeichnet. Das erste mit Italien im Jahre 1955, gefolgt von
Spanien und Griechenland (1960),
der Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und
Jugoslawien (1968).
Doch schon vor dem ersten Weltkrieg zog es polnische Einwanderer zum
Arbeiten ins Ruhrgebiet, die das heutige Gebiet von Nordrhein-Westfalen (NRW)
zu ihrer neuen Heimat machten. Deutschland und insbesondere NRW sind also seit
Jahrzehnten von Migration geprägt und das Zusammenleben unterschiedlicher
Menschen gehört zum Alltag.
Auch die Zahlen belegen diesen Umstand. In NRW leben mehr als 5,6
Millionen Menschen mit einer Einwanderungsgeschichte (Stand 2021). Das sind
30,1 Prozent der nordrhein-westfälischen
Gesamtbevölkerung. In einigen Kommunen wie in Bielefeld beträgt der
Anteil von Menschen mit Einwanderungsgeschichte über 40 Prozent, in Wuppertal
42,6 Prozent und in Düsseldorf 40,8 Prozent. Den höchsten Anteil in NRW weist
Hagen mit 43,3 Prozent auf.
Trotz dieser längst gelebten Vielfalt entspricht das aktuelle
Staatsbürgerschaftsrecht in Deutsch-
land, auch 20 Jahre nach seiner ersten grundlegenden Reform, noch immer
nicht dieser gesellschaftlichen Realität.
Besonders im Bereich der Mehrstaatigkeit spiegelt die aktuelle
gesetzliche Regelung weder die gelebte Vielfalt unserer Gesellschaft in
Deutschland, noch die behördliche Praxis wider. Demnach erhalten nämlich
bereits knapp die Hälfte der Antragsteller die doppelte Staatsbürgerschaft. Es
herrscht ein rechtliches Wirrwarr, das zusätzlich zu einer Ungleichbehandlung
von Menschen mit Einwanderungsgeschichte aus verschiedenen Ländern führt.
Während in Deutschland lebende Europäerinnen und Europäer sowie
Bürgerinnen und Bürger aus weiteren Drittstaaten, z.B. Schweiz oder Marokko, –
insgesamt bis zu 50 Nationen – zwei Staatsbürgerschaften innehaben dürfen, ist
dies für andere Drittstaaten – darunter die Türkei, Lichtenstein und Norwegen –
nicht möglich.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die zunehmende Polarisierung unserer
Gesellschaft. Die rassistisch motivierten Mordanschläge von Kassel, Halle und
Hanau waren getragen von einer Gesinnung, die den Menschen unterschiedlicher
Herkunft, Hautfarbe und Religion grundsätzlich ihr Lebensrecht in Deutschland
abspricht. Wer die freiheitliche Demokratie und unsere offene Gesellschaft
sichern und weiter ausbauen will, muss dieser Gesinnung entschieden
entgegentreten – einerseits mit einer offenen Auseinandersetzung mit dem
verbreiteten rechtsextremen, rassistischen und menschenfeindlichen Gedankengut,
andererseits mit einer Stärkung der Rechte und Teilhabemöglichkeiten
derjenigen, die die Zielscheibe rassistischer Ideologien und Aktionen sind.
Unsere Antwort auf die Versuche der Ausgrenzung von Minderheiten muss
die Stärkung ihrer Zugehörigkeit sein.
Außerdem fordern wir, dass die Landesregierung innerhalb
Nordrhein-Westfalens alle Möglichkeiten ausschöpft, um insbesondere der ersten
Generation der Einwanderinnen und Einwanderer die Einbürgerung zu ermöglichen
und damit endlich ihre außergewöhnliche Lebensleistung zu würdigen.
Die erste Einwanderergeneration aus den 60er und 70er Jahren aus der
Türkei hatte bisher
nicht die Möglichkeit die Bürgermeisterin oder den Bürgermeister ihrer
Kommune mit zu wählen.
Sie bleiben so von wesentlichen staatsbürgerlichen Rechten, wie dem
Wahlrecht ausgeschlossen,
obwohl sie seit Jahrzehnten in Deutschland leben und entscheidend zum
wirtschaftlichen Erfolg des Landes beigetragen haben. Gleichzeitig sind ihre
Lebensentwürfe bis ins hohe Alter hinein durch eine hohe internationale
Mobilität und das problemlose Leben in mindestens zwei Staaten gekennzeichnet,
wodurch sie dem Prinzip der doppelten Staatsbürgerschaft am ehesten entsprechen.
Dem globalen und modernen Zeitgeist einer offenen, pluralistischen und
demokratischen Gesellschaft, entspricht ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht,
das gelebte Mehrfachidentitäten durch rechtliche Mehrstaatigkeit
wiederspiegelt.
Der fortwährende Ausschluss einer großen Bevölkerungsgruppe von den
vollen politischen, rechtlichen und ökonomischen Mitwirkungsmöglichkeiten zieht
langfristig auch die Legitimität des demokratischen Staates in Mitleidenschaft.
Keine demokratische Gesellschaft kann es dauerhaft
hinnehmen, wenn sich Wohnbevölkerung und Wahlbevölkerung in erheblichem
Umfang voneinander unterscheiden. In Deutschland ist dies aber nach wie vor der
Fall.
Die Ampel-Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag die Modernisierung
des Staatsangehörigkeitsrechts festgeschrieben. Sowohl das
Bundesinnenministerium als auch die Staatsministerin für Integration haben im
Auftrag des Bundeskanzleramtes Ende des vergangenen Jahres die Umsetzung dieses
Vorhabens angekündigt. Die Novellierung sieht u.a. vor, dass die Aufenthaltsdauer
bis zur Möglichkeit der Einbürgerung von acht auf fünf Jahre verkürzt wird.
Bei „besonderen Integrationsleistungen“ soll dies auch schon früher
möglich sein. Bei Menschen
ab 67 Jahren soll es ausreichen, wenn sie sich mündlich im Alltag verständigen
können. Der formelle Sprachtest und der Wissenstest über Deutschland sollen für
diese Altersklasse wegfallen.
Diese Regelung soll vor allem ihrer besonderen Lebensleistung, ihrem
Verdienst für den Mitaufbau der deutschen Wirtschaft und dem Eingeständnis,
dass dieser Gruppe keine Integrationsangebote unterbreitet wurden, Rechnung
tragen.
Mit der Reform soll zudem der Besitz mehrerer Staatsbürgerschaften
erleichtert werden. Bisherige Staatsangehörigkeiten sollen grundsätzlich kein
Hindernis mehr für eine Einbürgerung sein. Das gilt auch für Deutsche, die im
Ausland eine weitere Staatsbürgerschaft erwerben wollen. Nach der neuen
Regelung müssten sie nicht mehr ihre deutsche Staatsbürgerschaft abgeben. In
Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern sollen außerdem automatisch
Deutsche werden, wenn ein Elternteil bereits seit fünf Jahren seinen
rechtmäßigen, gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik hat.
Die Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrecht verfolgt das Ziel
angemessen auf die Bedürfnisse der großen Gruppen von Bürgerinnen und Bürgern
zu reagieren, deren persönliche Identität sich aus mehr als einem kulturellen
und nationalen Hintergrund speisen.
Die Verleihung der Staatsbürgerschaft öffnet den Weg zu einer
umfassenden Teilhabe und Mitwirkung, von dem die deutsche
Einwanderungsgesellschaft ebenso profitiert, wie die Eingebürgerten. Vor diesem
Hintergrund liegt es im eigenen Interesse der Kommune und des Landes Nordrhein-Westfalen,
die Zahl der Einbürgerungen deutlich zu erhöhen.
Die Stärkung der Bürger- und Teilhaberechte von Menschen ohne deutschen
Pass stellen mithin einen wichtigen Ansatz dar, um den menschfeindlichen
Ausgrenzungs- und Marginalisierungsversuchen rechtsextremer politischer Kräfte
wirksam entgegenzutreten und den demokratischen Zusammenhalt in Vielfalt zu
stärken.
Nicht zuletzt vor dem sich zuspitzenden Fachkräftemangel in fast allen
Bereichen unserer Gesellschaft und Wirtschaft, spielt die Ermöglichung von
Mehrstaatigkeit eine zusätzliche Rolle bei der Anwerbung von Fachkräften. Die
Ermöglichung einer vollständigen gesellschaftlichen und rechtlichen Teilhabe,
kann die Attraktivität des Standorts Deutschland zusätzlich steigern.
Antragstext:
Der Rat der Stadt Hilden möge beschließen:
1. Die
Initiative der Bundesregierung zu unterstützen und sich für ein modernes
Staatsbürgerschaftsrecht einzusetzen, das die gelebte Vielfalt in unserer
Kommune abbildet.
2. Gemeinsam
mit der Landesregierung die Voraussetzungen für schnelle, vereinfachte Einbürgerungsverfahren
zu schaffen. Das Land muss die Ausländer- und Einbürgerungsbehörden frühzeitig
über den neuen rechtlichen Rahmen informieren und sie in die Lage versetzen auf
die neuen Anforderungen reagieren zu können.
3. Die
Einbürgerungsbehörden müssen sowohl technisch als auch personell angemessen
ausgestattet werden, um die voraussichtlichen Mehranträge bearbeiten und
abschließen zu können. Dabei können Kommunen wie Bielefeld, die bei der
Digitalisierung der Einbürgerungsbehörde vorangehen, als Beispiel herangezogen
werden.
4. Die landesrechtlichen
Möglichkeiten voll auszuschöpfen, um im Sinne des § 2, Abs. 9 des
Teilhabe- und Integrationsgesetzes mehr Einbürgerungen, insbesondere für
die ersten Generationen der Einwanderinnen und Einwanderer, zu ermöglichen.
Stellungnahme der
Verwaltung:
Die SPD-Fraktion hat zu dem Thema „Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts“ vier Einzelanträge gestellt, wovon es sich allerdings nach Bewertung durch die Verwaltung zu den Ziffern 1 und 2 um keine Anträge im klassischen Sinne handelt, die für den Fall ihrer mehrheitlichen Annahme durch den Rat der Stadt Hilden ggf. zu konkreten Arbeitsaufträgen für die Verwaltung führen und somit die Aufgabenerledigung der Verwaltung unmittelbar betreffen würden.
Vielmehr wird um die (politische) Zustimmung des Rates zu der durch die Bundesregierung im Koalitionsvertrag vereinbarten, aber bislang legislativ noch nicht abschließend umgesetzten Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts gebeten. Zudem soll das Land Nordrhein-Westfalen aufgefordert werden, die Voraussetzungen für schnelle, vereinfachte Einbürgerungsverfahren zu schaffen und die Ausländer- und Einbürgerungsbehörden frühzeitig über die neuen rechtlichen Rahmenbedingungen zu informieren.
Zu diesen beiden Anträgen kann die Verwaltung keine inhaltlichen Stellungnahmen abgeben. Es liegt seit dem 19.05.2023 ein Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern und für Heimat vor. Das Gesetzgebungsverfahren steht somit gerade erst ganz am Anfang. Eine Bewertung dieses Entwurfes steht der Stadt Hilden (hier: Verwaltung) zunächst auch nicht zu. Die Stadt Hilden ist nicht die zuständige Behörde für die Einbürgerungsverfahren; dies ist der Kreis Mettmann.
Das Bürgerbüro der Stadt Hilden nimmt hier lediglich im Wege einer Vereinbarung, so auch in der Beantwortung einer Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema „Einbürgerungsverfahren“ vom 23.03.2023 mitgeteilt, auf freiwilliger Basis - zur Sicherstellung eines ortsnahen Services - Beratungsleistungen im Vorfeld, Prüfungen der Vollständigkeit der Anträge und schließlich die Aushändigung der Einbürgerungsurkunden für den Kreis Mettmann vor.
Auch ist die Stadt Hilden nicht zuständige Ausländerbehörde; dies ist ebenfalls der Kreis Mettmann, so dass auch zu dem Antrag zu Ziffer 2 keine weitere Stellungnahme erfolgt.
Zu den Ziffern 3 und 4 des Antrags nimmt die Verwaltung hingegen wie folgt Stellung:
Zu Ziffer 3:
Die in das Gesetzgebungsverfahren eingebrachte
Novellierung zum Einbürgerungsrecht sieht u.a. eine Verkürzung des Aufenthalts
in der Bundesrepublik Deutschland von bisher regelmäßig acht auf fünf und in
bestimmten Ausnahmefällen sogar nur drei Jahren vor.
Auch wenn noch nicht absehbar ist, wie das Gesetz am
Ende inhaltlich ausgestaltet sein wird, wird - auf Basis des vorliegenden
Entwurfs - mindestens eine Verdoppelung der jährlichen Anträge prognostiziert.
Auch wenn die SPD-Fraktion in Ihrem Antrag eine
angemessene personelle Ausstattung der Einbürgerungsbehörden (hier: Kreis
Mettmann) fordert, gilt dies aufgrund der bereits beschriebenen Vorarbeiten und
der Übernahme sämtlicher, persönlicher Bürgerkontakte im Rahmen des
Einbürgerungsverfahren gleichermaßen auch für die Stadt Hilden (hier:
Bürgerbüro). Für diese Tätigkeiten wird in Hilden aktuell eine Stelle im Umfang
von 0,5 VZÄ vorgehalten und es zeigt sich, dass dies aufgrund der Entwicklung
schon heute knapp bemessen ist. Hier ist demnach zu erwarten, dass die
Novellierung des Staatsangehörigkeitsrechts weitere Stellenbedarfe auslösen
wird, die zu entsprechend höheren Personalkosten für die Stadt Hilden führen
werden. Beziffern lässt sich dies allerdings aktuell noch nicht, zumal weder
die abschließende Gesetzesversion noch deren Auswirkungen bekannt sind. Hier
gilt es die Entwicklung abzuwarten.
Die SPD-Fraktion fordert auch eine entsprechende
technische Ausstattung der Einbürgerungsbehörden und verweist hierzu auf das
Beispiel der Stadt Bielefeld, die ein digitales Angebot für das
Antragsverfahren zu Einbürgerungen vorhält.
Dabei ist es für die Einzelperson möglich, in einem
sog. Quick-Check-Verfahren zunächst zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für
eine Einbürgerung grundsätzlich vorliegen. Dies bewertet die Verwaltung als
Serviceangebot durchaus positiv.
In der Folge kann dann der Antrag unter Beifügung
benötigter Dokumente online gestellt werden.
Die zuständige Abteilungsleitung im Bereich
Einbürgerungen der Stadt Bielefeld berichtete auf Nachfrage, dass aufgrund
fehlender Schnittstellen zum Einbürgerungsfachverfahren und aufgrund fehlender
Plausibilitätsprüfungen - wie zum Beispiel im Elster-Verfahren realisiert - jeder online eingereichte Antrag in ein
vollständig manuelles Verfahren überführt wird, das unter anderem auf Basis des
Ausführungserlasses eine Prüfung der Originale der ausländischen Pässe und
Urkunden vorsieht.
In Bielefeld wird eine 25 - 30 %ige online-Quote
gehalten. Die Qualität der eingereichten Anträge ist aufgrund fehlender
Plausibilitätschecks schlecht, so dass in Bielefeld aktuell angestrebt wird,
die aufgrund des online-Verfahrens reduzierte individuelle Vorberatungsleistung
wieder zu intensivieren.
Der zuständige Kreis Mettmann steht im Gespräch mit
dem Land NRW, um die Digitalisierung im Bereich der Einbürgerungen
voranzutreiben. Es wurde zugesagt, die Stadt Hilden in die weitere Entwicklung
einzubinden. Zum jetzigen Zeitpunkt scheint es geboten, als zuständige
Einbürgerungsbehörde federführend den Kreis Mettmann in die Pflicht zu nehmen,
eine möglichst sinnvolle, effiziente und vor allem einheitliche
Digitalisierungslösung zu prüfen und zur Anwendung vorzuschlagen.
Zu Ziffer 4:
Die SPD-Fraktion beantragt auch, „die landesrechtlichen Möglichkeiten voll auszuschöpfen, um im Sinne des
§ 2 Abs. 9 des Teilhabe- und Integrationsgesetzes mehr Einbürgerungen,
insbesondere für die ersten Generationen der Einwanderinnen und Einwanderer zu
ermöglichen.“
Das Landesgesetz sieht in seinem § 2 Abs. 9 als einem
Teilhabe- und Integrationsgrundsatz vor:
„Die Medienkompetenz der Menschen mit Einwanderungsgeschichte
einschließlich des Zugangs zu digitalen Angeboten für ihre gesellschaftliche
und politische Teilhabe ist zu stärken.“
Teilhabe und
Integration wird in der Stadt Hilden gelebt und aktiv gestaltet. Die Arbeit des
Integrationsbüros und des Integrationsbeirates trägt hierzu maßgeblich bei,
gleiches gilt auch für das gesellschaftliche Miteinander auf vielen Ebenen, das
Teilhabe und Integration in Hilden spiegelt und durch das Engagement diverser
Akteure gestaltet.
Dies ist und bleibt
auch weiterhin ein wesentliches Ziel von Verwaltung und Politik.
Selbstverständlich
umfasst dies auch die vollumfängliche Nutzung landesrechtlicher Möglichkeiten
in monetärer und nicht-monetärer Art, dies gilt für alle Lebensbereiche, so
auch für den Themenkomplex der Einbürgerungen.
Die Beschlussfassung zum vorliegenden
Antrag der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Hilden wird anheimgestellt.
gez. Dr. Claus Pommer
Bürgermeister
Klimarelevanz:
Der vorliegende Antrag hat keine Klimarelevanz.