Betreff
Sachstandsbericht Baumrodungen an der Itter/Aussprache aus dem Ortstermin
Vorlage
WP 20-25 SV 66/043
Art
Mitteilungsvorlage

Beschlussvorschlag:

 

Der Ausschuss nimmt die Ausführungen der Verwaltung zur Kenntnis.


Erläuterungen und Begründungen:

 

Die Thematik des Baum- und Hochwasserschutzes entlang der Itter zwischen der Bahntrasse und der westlichen Stadtgrenze ist als problematisch einzuschätzen. Außerdem liegt eine Verknüpfung der Zuständigkeiten der Stadt Hilden, der Unteren Wasserbehörde, der Unteren Naturschutzbehörde, der Oberen Wasserbehörde sowie dem Bergisch-Rheinischen Wasserverband vor.

 

Kontext

 

Zwischen der Bahntrasse (Nord-Süd Richtung) und der westlichen Stadtgrenze zu Düsseldorf sind entlang der Itter im Zuge der Erstellung der Hochwassergefahrenkarten im November 2019 einige der dort befindlichen Erdwälle nachrichtlich als „Deiche, mobile und stationäre Hochwasserschutzwände“ ausgewiesen (siehe Anlage). Mit E-Mail vom 14.10.2021 bat die Untere Wasserbehörde die Stadt Hilden um Stellungnahme zur Planung des BRW, entlang der Itter im Rahmen der Sanierung dieser Hochwasserschutzanlagen Rodungen durchzuführen. Hierzu berichtete die Verwaltung innerhalb des nichtöffentlichen Teils der Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses am 27.10.2021. An diese Sitzung schlossen sich ein Bericht in der Rheinischen Post, sowie ein darauf bezugnehmender Antrag der FDP-Fraktion am 11.11.2021 an. Zu diesem Antrag wurde in der SV 66/033 (03.02.2022 im Stadtentwicklungsausschuss und 23.02.2022 im Rat) seitens der Verwaltung Stellung genommen. In welcher Form und von wem Sanierungsmaßnahmen durchzuführen sind, ist dabei derzeit noch in Abstimmung, da für die vorliegenden Erdwälle eine enge Verflechtung der Zuständigkeiten von Stadt, Unterer Wasserbehörde, Bezirksregierung Düsseldorf und Bergisch-Rheinischem Wasserverband sowie hinsichtlich der Bäume und des Landschaftsbildes der Unteren Naturschutzbehörde vorliegt. Folgende Fragen werden derzeit in enger Abstimmung diskutiert:

 

           Wie wird der Hochwasserschutz grundsätzlich sichergestellt?

           Müssen die Erdwälle ertüchtigt werden und müssen in diesem Zug

zur Sicherstellung des Hochwasserschutzes an der Itter Bäume gefällt werden?

           Welche Alternative gibt es (Renaturierung der Itter)?

 

Grundsätzlicher Hochwasserschutz

 

Nach dem Starkregenereignis am 14.07.2021 ist es neben den lokalen Überflutungen auch zu Flusshochwasser der Hildener Gewässersysteme und so auch zu Überflutungen entlang der Itter gekommen.

 

Auch im Bereich des Schlupkotensees / Brockenstraße in Hilden West haben Überflutungen stattgefunden. Im Anschluss sind an den Erdwällen auf einem Gewässerabschnitt von 300m zwischen Itter km 2,9 bis km 3,2 Schäden festgestellt worden.

 

Nach Auffassung der Stadt und des BRW wird der gesetzlich geforderte Hochwasserschutz für ein hundertjähriges Hochwasser derzeit im Verlauf der Itter sichergestellt. Eine Bemessung für ein höheres Hochwasser ist aus ökologischen und finanziellen Überlegungen nicht tragbar.

 

Für den besonders gefährdeten Bereich zwischen km 2,9 bis km 3,2 waren Sicherungsmaßnahmen seitens des BRW geplant. Die Untere Naturschutzbehörde hat dem BRW hierfür mit Bescheid vom 12.02.2022 die Genehmigung erteilt, bis zum 28.02.2022 dort befindliche Bäume nördlich der Itter zu fällen, die einer Instandsetzung entgegenstehen. Diese Genehmigung ist inzwischen verfallen. Zunächst werden provisorische Maßnahmen zur Sicherung der Erdwälle - wie z.B. das Aufbringen einer Sandsacklage zur Erhöhung der Erdwallkrone - vorgenommen, um die Erkenntnisse aus den weiteren Gesprächen abzuwarten. Aus heutiger Sicht ist noch nicht klar, im welchem Umfang Baumfällungen erforderlich sind und in die vorhandene Baumkulisse eingegriffen werden muss. Ggfs. sind Baumfällungen auch überhaupt nicht erforderlich.

 

An dieser Stelle ist aber deutlich zu machen, dass Bäume, die nicht mehr standsicher sind oder von denen Gefahren ausgehen - wie z.B. einen erheblichen Totholz-Anteil aufweisen oder von Krankheiten oder Pilzen befallen sind -, natürlich gefällt und entfernt werden müssen - unabhängig von dem hier diskutierten Hochwasserschutz.

 

Ertüchtigung der Wälle

 

Die unbedingt erforderliche Sanierungsmaßnahme und die aufgeworfene Frage der Zuständigkeiten steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Bewertung, wie die Erdwälle entlang der Itter im Gewässerabschnitt beginnend von der Eisenbahntrasse bis zur westlichen Stadtgrenze einzuordnen sind. Abhängig von der Einordnung der Erdwälle ist auch die Frage, ob es notwendig ist, die Bäume zu fällen, die auf den Erdwällen wachsen. Hinsichtlich der Sanierungsmaßnahmen sind die Bestandsbäume auf den Erdwällen als Naturgut und weitere damit verbundene naturschutzrechtliche Belange zu berücksichtigen.

 

In der Sitzung des Ausschusses für Umwelt- und Klimaschutz am 11.11.2021 berichtete die Verwaltung, dass weder der BRW noch die Genehmigungsbehörde (Kreis Mettmann) vitale Bäume fällen und erheblich in das Landschaftsbild eingreifen möchten, soweit sich dieses vermeiden lässt. Nicht mehr vermeiden lässt sich die Fällung, wenn die Entscheidung getroffen wird, dass es sich bei den linienförmig angelegten Erdwällen um Deiche im Sinne der technischen Regelwerke (DIN 19712) handelt.

 

Die Erdwälle wurden im Rahmen des Itterausbaus vom Itterverband angelegt. Die geordnete, linienförmige Anpflanzung der Bäume auf den Erdwällen sowie deren Alter sind ein Indiz dafür, dass die Erdwälle nicht als Hochwasserschutzanlage angedacht waren. Eine Bepflanzung von Deichen schließt sich aus Gründen der Standsicherheit aus.

Der kürzlich aufgefundene Planfeststellungsbeschluss aus 1961wird derzeit juristisch überprüft im Hinblick darauf, ob es sich initiativ um Hochwasserschutzanlagen im Sinne von Deichen handelt.

 

Faktisch übernehmen die Erdwälle die Funktion des Hochwasserschutzes bis zu einem zur Definition von Überschwemmungsgebieten ausschlaggebenden HQ100-Ereignis. Diese Funktion deckt sich auch durch die nachrichtliche Darstellung der Erdwälle als sonstige Hochwasserschutzanlagen in den Hochwassergefahrenkarten der Bezirksregierung Düsseldorf von November 2019.

 

Mit E-Mail vom 25.04.2022 teilte die Untere Wasserbehörde der Stadtverwaltung folgende Bewertung mit:


„Bei den Itterverwallungen kann von sogenannten „So-da-Anlagen“ gesprochen werden, die als Abflussbauwerke dazu dienen, das Wasservolumen schadlos abzuführen und die auch eine schützende Funktion vor Hochwasser einnehmen. …
Mangels einer eindeutigen rechtlichen Definition von Hochwasserschutzanlagen stellt sich die Frage, ob ein seit Jahrzehnten bestehendes, nicht nach DIN errichtetes, linienförmiges Bauwerk als Hochwasserschutzanlage zu betrachten ist und die erforderlichen Sanierungs-, Verstärkungs- und ggf. Neuerrichtungsmaßnahmen u. a. mangels Instandhaltung und aufgrund von Hochwasserschäden (§ 78 Abs. 3 LWG) ein Verfahren nach § 68 Abs. 1 WHG i. V. m. § 67 Abs. 2 S. 3 WHG bedingen. Bzgl. einer einheitlichen Vorgehensweise bei der Feststellung der Eigenschaft als Hochwasserschutzanlage bei bestehenden Bauwerken entlang sonstiger Gewässer koordiniert die Bezirksregierung einen Regierungsbezirk-weiten Austausch unter den Unteren Wasserbehörden. Zwar stellt die Untere Wasserbehörde fest, ob eine Hochwasserschutzanlage vorliegt, jedoch können für die Begründung unterstützende bzw. widerlegende Indizien durch alle Beteiligten beigebracht werden. 

 

Der Tatbestand Hochwasserschutzanlage löst die Rechtsfolge der Unterhaltungspflicht nach (§§ 77, 78 Abs. 2 LWG NRW) in Zuständigkeit der Stadt Hilden und des BRW aus. Der BRW ist Nachfolger des Itterverbandes, der das linienförmige Bauwerk entlang der Itter errichtet hat (§ 78 Abs. 2 LWG). …“

 

Die von der Bezirksregierung Düsseldorf als Obere Wasserbehörde erstellten Hochwassergefahrenkarten (HWGK) zeigen die voraussichtlichen Verhältnisse im Hochwasserfall. Sie stellen die zu erwartenden Überflutungsflächen aber auch die durch die Erdwälle oder Deiche geschützten Flächen dar.

Die Hochwassergefahrenkarten aus 2013 umfassen nur Informationen zu amtlich erfassten bzw. planfestgestellten Deichen. In der Überarbeitung in 2019 wurden - basierend auf vorliegenden Höhendaten – einfache Erdwälle mit hochwasserrückhaltender Wirkung zusätzlich ermittelt und jetzt auch dargestellt. Die HWGK der Itter im Bereich Hilden-West mit dem Stand 2019 ist als Anlage dieser Sitzungsvorlage beigefügt.

Aus Sicht der Bezirksregierung Düsseldorf haben Erdwälle im Unterschied zu regelgerechten Deichen den Nachteil, dass ihr Aufbau und damit ihre Hochwassersicherheit in der Regel nicht bekannt ist. Zudem erfolgt, anders als bei planfestgestellten Deichen, keine regelmäßige Prüfung ihres baulichen Zustandes. Damit ist in der Regel nicht vorhersagbar, ob und wann sie in einer Belastungssituation nachgeben bzw. brechen und der rückwärtigen Bereich überflutet werden könnte. Aus Sicht der Bezirksregierung liegt die Entscheidung darüber, ob die Erdwälle in regelkonforme Deiche überführt werden oder nicht, bei der Stadt Hilden. Nach Einschätzung des BRW und der beteiligten Behörden würde dies vermutlich einen kompletten Neubau bedeuten. Bei einem Neubau einer Deichanlage würde auf jeden Fall mehr Fläche in Anspruch genommen werden müssen als heute die Erdwälle in Anspruch nehmen. Auch dürfen Deiche nicht mit Bäumen bewachsen sein.

 

Derzeit besteht ein sehr enger Austausch zwischen Stadt, Oberer und Unterer Wasserbehörde, Untere Naturschutzbehörde und dem BRW. Ziel ist es, gemeinsam die notwendigen Sanierungsmaßnahmen entlang der Itter abzustimmen, abzuwägen und mit möglichst großer Rücksicht auf den Baumbestand umzusetzen. Dazu finden derzeit Abstimmungsgespräche statt und werden fortgesetzt.

Sollte im Zuge dieses Austausches eine neue Risikobewertung bezüglich der sicherzustellenden gefahrlosen Ableitung eines HQ100-Ereignisses ergeben, sind punktuelle Optimierungsmaßnahmen einzuleiten und ggf. ein neues Hochwasserschutzkonzept zu erstellen.

 

Renaturierung

 

Die Untere Wasserbehörde, der BRW und die Stadtverwaltung stimmen überein, dass die konzipierte Umgestaltung der Itter unter Vorgabe der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) durch den BRW und eine entsprechende Verlegung der Gewässerführung eine mögliche Lösung dieses Problems darstellt. Dieses Handlungskonzept wurde dem Stadtentwicklungsausschuss am 22.04.2020 vorgestellt (SV 66/175). Mit einer Umgestaltung der Gewässerführung könnte der größte Teil der Bäume erhalten und gleichzeitig ein verlässlicher Hochwasserschutz für die Ableitung eines HQ100-Ereignisses generiert werden. Sollte die angestrebte Umstrukturierung in einem überschaubaren Zeitraum erfolgen, könnte somit auf eine Fällung der Bäume verzichtet werden.
Es ist jedoch heute noch nicht abzuschätzen, was eine solche Maßnahme kostet und wie sie finanziert werden könnte.

 

 

gez.
Dr. Claus Pommer
Bürgermeister