Betreff
Verleih und Einsatz von stationslosen E-Scootern in Hilden:
Erfahrungsbericht über den Versuch mit der Fa. BIRD Rides Europe für den Zeitraum Mai bis Juni 2021
Vorlage
WP 20-25 SV 61/042
Aktenzeichen
IV/61.1 Groll_VEP
Art
Mitteilungsvorlage

Beschlussvorschlag:

 

Der Stadtentwicklungsausschuss nimmt den Bericht der Verwaltung zur Kenntnis.


Erläuterungen und Begründungen:

 

Ende Juni 2020 stellte die Fa. Seven Group Germany GmbH für den E-Scooter-Verleiher BIRD Rides Europe den Antrag, den öffentlichen Raum in Hilden für den Verleih stationsloser E-Scooter nutzen zu können. Über diesen Antrag wurde in der Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses am 18.11.2020 beraten und entschieden (Sitzungsvorlage WP 20-25 SV 61/001). Es wurde folgender Beschluss mehrheitlich gefasst:

 

     „Der Stadtentwicklungsausschuss beauftragt die Verwaltung, mit dem E-Scooter-Verleih-Anbieter Bird Rides Europe/Seven Group Gespräche mit dem Ziel zu führen, in Hilden eine dreimonatige Probephase zum Verleihbetrieb von max. 50 E-Scootern zu ermöglichen.
Über die Ergebnisse dieser Probephase soll dem Stadtentwicklungsausschuss vor Abschluss einer weitergehenden Vereinbarung (=einseitige Verpflichtungserklärung des Anbieters) oder der Erweiterung der Testphase zunächst Bericht erstattet werden. Die Erkenntnisse sollen als Grundlage in die Verpflichtungserklärung aufgenommen werden.“

 

In den darauf folgenden Gesprächen mit Bird Rides Europe wurde zunächst geklärt, dass die genannte Probephase im Frühjahr 2021 beginnen soll. Im weiteren Verlauf wurden dann - in Abstimmung zwischen Stadtverwaltung und E-Scooter-Anbieter - im Stadtgebiet zehn bevorzugte Abstellbereiche für jeweils fünf E-Scooter bestimmt und durch den Anbieter auch im Straßenraum markiert.

Es handelt sich hierbei um folgende Standorte:

-          Gerresheimer Straße/Händelstraße; - Beethovenstraße/Zelterstraße; - Gerresheimer Straße/Schulzentrum; - Bahnhof Hilden; - Berliner Straße/Schwanenstraße; - Benrather Straße/Mittelstraße; - Gabelung; - Walder Straße/Fachärztezentrum Mediplus; - Richrather Straße/Verbindungsstraße; - An den Linden/Am Strauch.

 

Ebenso wurden im Stadtgebiet sogenannte „Tabu-Zonen“ definiert, in denen kein E-Scooter-Betrieb stattfinden sollte: die drei städtischen Friedhöfe, der Stadtpark und die Fußgängerzone inkl. Nove-Mesto-Platz und Warrington-Platz.

 

Der Verkehrsversuch bzw. die Probephase begann am 01.04.2021 und endete am 30.06.2021 (wobei der Betrieb zunächst weiterläuft).

 

Verkehrsdaten (Hinweis: die Auswertungen beruhen auf Daten, die die Fa. BIRD Rides Europe zur Verfügung gestellt hat)

 

  • Wurden im April 2021 noch täglich durchschnittlich 59 E-Scooter in Hilden eingesetzt, verringerte sich die Anzahl über durchschnittlich 55/T im Mai auf durchschnittlich 48/T im Juni. Damit wurde im Juni die eingangs vereinbarte Zahl von 50 E-Scootern erstmals unterschritten.
  • Im April fanden insgesamt 2436 Fahrten statt, im Mai 1932 und im Juni 2012 Fahrten.
  • Das entspricht im April ca. 81,2 E-Scooter-Fahrten/tägl., im Mai 62,3 Fahrten/tägl. und im Juni 67,1 Fahrten/tägl.
  • Die durchschnittliche Wegelänge einer Fahrt betrug im April 4,45km, im Mai 3,04km und im Juni 3,37km.
  • Die durchschnittliche Zeitdauer einer Fahrt betrug im April ca. 24min, im Mai ca. 14min und im Juni ca. 16min.
  • Pro einzelnem E-Scooter wurden im April ca. 1,39 Fahrten täglich absolviert, im Mai 1,24 Fahrten täglich und im Juni 1,41 Fahrten täglich.

 


Beschwerdelage (Zusammenfassung aus telefonischen, digitalen und persönlichen Meldungen)

 

Es wurden im dreimonatigen Zeitraum 18 Meldungen beim Team Wirtschaftsförderung registriert. Die Bandbreite der Meldungen umfasste Beschwerden über abgestellte E-Scooter vor Grundstücks- oder Betriebszufahrten, über zu schnelles Fahren allgemein, über das Fahren in der Fußgängerzone und über das Fahren zu zweit auf einem E-Scooter. Eine Meldung bezog sich auf die nicht-funktionierende Hotline des Anbieters, eine andere auf Probleme bei der Ausleihe und beim Fahrbetrieb. Auch das Abstellen von E-Scootern auf dem Campus Holterhöfchen wurde bemängelt.

 

Eine ernst zu nehmende Problematik stellte dabei die mißbräuchliche Nutzung von E-Scootern in der Fußgängerzone Mittelstraße und auf dem Nove-Mesto-Platz dar.

Seitens der Kreispolizei Mettmann wurden drei Unfallgeschehen auf Gehwegen rund um das Thema E-Scooter in Hilden gemeldet. Hierbei handelte es sich um eine Fahrerflucht eines nicht registrierten Benutzers, welcher den E-Scooter zuvor entwendete, eine Unfallflucht mit Sachschaden und einen Alleinunfall mit Personenschaden.

Weiterhin wurde gemeldet, dass es bei der Kontrolle des „fließenden Verkehrs“ (Zuständigkeit der Polizei) überwiegend dann zu Ahndungen kam, wenn die E-Scooter von zwei Personen genutzt wurden.

 

Seitens des Ordnungsamtes (Zuständigkeit: Überwachung des „ruhenden Verkehrs“) wurden solche Fahrzeuge verwarnt, die besonders behindernd auf Rad- und Gehwegen abgestellt waren. Es wurden insgesamt 15 E-Scooter und zwei Transporter verwarnt.

 

Der Betreiber BIRD Rides Europe verzeichnete kein stark verbreitetes oder unverhältnismäßiges Vandalismus-Geschehen.

 

Festgestellt werden konnte dagegen, dass ganz offensichtlich das seitens des Anbieters zugesagte nächtliche Einsammeln der E-Scooter und das anschließende Zurückbringen zu den eingangs benannten zehn Standorten nicht immer zeitnah erfolgt, sondern Scooter auch mehr als zwei Tage „irgendwo im Stadtgebiet herumstehen“. Besonders in Wohngebieten fällt dies dann auch auf und führt zu Meldungen. Auch vermeldet das Ordnungsamt eine fehlende Kooperationsbereitschaft seitens der BIRD Rides Europe-Franchisenehmer, die offiziell Halter der Fahrzeuge (E-Scooter und Transporter) sind. Bisher erteilte Verwarnungen werden ignoriert.

Seitens der Verwaltung wurde dieses Verhalten an die Fa. BIRD weitergegeben, die sich des Themas annehmen möchte.

 

Schlussfolgerungen aus verkehrsplanerischer Sicht

 

  • Die Nutzung von E-Scootern hat in Hilden bisher keinerlei Bedeutung für das Mobilitätsgeschehen; dazu sind die Fahrtenzahlen und die zurückgelegten Distanzen schlicht zu gering.
    Zur Einordnung: In den Erhebungen zum Verkehrsentwicklungsplan 2004 wurde festgestellt, dass damals in Hilden pro Person durchschnittlich 3,5 Wege täglich absolviert wurden, also zusammen ca. 188.000 Wege pro Tag. Zwischen 60 und 80 mit E-Scootern in ganz Hilden zurückgelegte Fahrten pro Tag sind also vernachlässigbar gering.
  • Sicher gibt es unter der Nutzerschaft von Leih-E-Scootern auch solche, die damit Pendlerfahrten beginnen oder beenden. Insgesamt kann aber nicht von einer Bedeutung im verkehrsplanerischen Sinne gesprochen werden, denn dazu sind auch Start- und Ziel-Orte in Hilden zu divers. Es lassen sich nur wenige Schwerpunkte im Stadtgebiet erkennen, die für E-Scooter-Nutzer von Interesse zu sein scheinen:
    - Fritz-Gressard-Platz/ Zugang Mittelstraße,
    - Schwanenstraße/Zufahrt Nove-Mesto-Platz,
    - Gabelung.
  • Diffuse Bereiche sind der Bahnhof Hilden, die Einmündung der Straße Kalstert an der Walder Straße (Zufahrt zum Geschäftszentrum Breidohr), die Skater-Anlage im Campus-Holterhöfchen und der Bereich Hildorado/Grünstraße. Ansonsten gibt es keine relevanten Konzentrationszonen im Stadtgebiet. Dabei fällt auf, dass der Hildener Westen gering, der Hildener Osten praktisch gar nicht angefahren wird.
  • Gerade in einer räumlich kleinen Stadt wie Hilden sind nicht-flächendeckende Mobilitätsangebote (also solche, die Teile der Stadt unbeachtet lassen) für die Lösung von „Verkehrsproblemen“ nicht geeignet. Vielmehr zeigt die Konzentration der Anbieter auf die Kernstadt, dass das Geschäftsmodell auf Kurzstreckenfahrten ausgerichtet ist und damit in Konkurrenz zu Fahrrad- und Fußgängerverkehr steht.
  • Um auch in Zukunft ein „geordnetes“ Stadtbild in Hilden zu erhalten, ist es erforderlich, an der Ausweisung von festen Abstellplätzen im Stadtgebiet (für Bereitstellung von E-Scootern durch die Firmen) festzuhalten. Sog. „Free floating-Systeme“ stellen gerade bei zunehmender Anzahl von E-Scooter-Anbietern eine deutliche Beeinträchtigung des Stadtbildes dar.

 

Sonstige Schlussfolgerungen

 

  • Der Betreiber BIRD Rides Europe hat bereits gegenüber der Stadt Hilden signalisiert, sein Angebot und damit den Betrieb weiter aufrecht erhalten zu wollen. Dementsprechend ist beabsichtigt, mit diesem Betreiber eine Vereinbarung zum dauernden Betrieb zu treffen. Diese Vereinbarung soll auf Basis der Mustervereinbarung des Deutschen Städtetages zu diesem Thema abgeschlossen werden; auf die Hildener Situation angepasst. Wie eine solche Vereinbarung aussehen kann, ist in der Anlage am Beispiel der „Freiwilligen Selbstverpflichtungserklärung“ der Stadt München dargestellt. Diese enthält grundsätzlich folgende Aspekte :

-Geschäfts- und Nutzungsgebiet,

-Fahrzeugflotte und Energieversorgung,

-Anforderungen an Fahrzeuge,

-Aufstell- und Abstellstandorte,

-Umverteilung, Reparatur,

-Umgang mit Kunden,

-Kontakt zur Stadt,

-Datenüberlassung und Evaluation,

-Entfernung der Fahrzeuge bei Rückzug aus Stadtgebiet,

-Beendigung der freiwilligen Selbstverpflichtung.

  • Bei der Anpassung an die Situation in Hilden soll u.a. Berücksichtigung finden, dass
    - das Einsammeln und Aufstellen an den zehn vereinbarten Standorten besser als jetzt funktionieren muss;

- dem städtischen Ordnungsamt gegenüber klare Zuständigkeiten bei BIRD Rides Europe und seinen Franchisenehmern zum Thema ordnungsbehördliche Verwarnungen benannt werden,
- der Schutz der „Tabu-Zonen“ besser umgesetzt wird und in dem Zusammenhang der Schutz dieser Zonen immer an die aktuelle Gesetzeslage angepasst wird.
Zum Hintergrund: technisch bestehen bereits heute Eingriffsmöglichkeiten in die Fahrt eines E-Scooters von „außen“. Mit dem sog. „Geo-fencing“ könnte technisch der Betrieb innerhalb der ausgewählten Bereiche unterbunden oder beeinflusst werden. Dies umfasst eine Vielzahl technischer Funktionen, von der Motordeaktivierung über die Drosselung der Geschwindigkeit bis zu aktiven Bremseingriffen.
Dies ist heute aus Gründen der Verkehrssicherheit, der Ungenauigkeit der installierten Ortungssysteme und der Beeinträchtigung der Fahreigenschaften nicht zulässig und daher auch nicht Bestandteil der Elektrokleinstfahrzeugeverordnung. Nach aktueller Auskunft des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI, Juli 2021) sind das Kraftfahr-Bundesamt und die Bundesanstalt für Straßenwesen mit einer entsprechenden Untersuchung beauftragt, die sich derzeit noch in der Durchführung befindet.

 

Ausblick

 

Neben der Fa. BIRD Rides Europe interessieren sich mittlerweile auch weitere Verleih-E-Scooter-Firmen für eine Teilnahme am „Markt“ in der Stadt Hilden, etwa aktuell die Firmen BOLT, LIME und TIER.

Angesichts der vorherrschenden Enge des öffentlichen Raums in Hilden kann das zu nicht haltbaren Verhältnissen führen, hervorgerufen durch unkoordiniertes Abstellen im Stadtgebiet (je mehr Anbieter, umso größer die Gefahr). Ein Ausschluss weiterer Anbieter im Bereich des Stadtgebietes ist jedoch nicht möglich.

Vor den genannten Hintergründen nehmen sowohl die Straßenverkehrsbehörde als auch das Ordnungsamt dem Thema E-Scooter gegenüber eine kritische Haltung ein, der aus fachlicher Sicht Rechnung zu tragen ist.

 

Daher ist seitens der Verwaltung vorgesehen, mit jedem neuen Interessenten den gleichen Weg zu gehen wie mit BIRD Rides. Es müssen einvernehmlich Abstellorte in Hilden gefunden werden (max zehn, keine Überschneidungen der Anbieter), die Zahl der E-Scooter muss begrenzt werden (max. 50), es muss eine Versuchsphase durchgeführt (drei Monate) und anschließend eine vertragliche Vereinbarung im Sinne der „freiwilligen Selbstverpflichtungserklärung“ getroffen werden.

 

Die Vereinbarung, die die Stadt Hilden mit einem E-Scooter-Verleih-Anbieter trifft, könnte im Sinne einer Transparenz für die Einwohnerschaft Hildens auf der städtischen Homepage (ein entsprechendes Einverständnis der „Vertragspartner“ vorausgesetzt) veröffentlicht werden.

 

Auch über diese weiteren Versuche wird seitens der Verwaltung zeitnah Bericht erstattet werden. Sollte sich das Angebot von drei E-Scooter-Verleihfirmen als unverträglich für den öffentlichen Straßenraum in Hilden erweisen, muss über restriktive Maßnahmen im Rahmen des aktuellen gesetzlichen Rahmens nachgedacht werden.

Es wird hier daran erinnert, dass durch die allgemeine Zulassung von E-Scootern (Elektrokleinstfahrzeugeverordnung des Bundes aus 06/2019) es den Städten nicht möglich ist, die Nutzung von E-Scootern generell zu untersagen.

 

Andererseits hat das OVG Münster am Beispiel der Stadt Düsseldorf in einem (möglicherweise) verwandten Fall Ende 2020 geurteilt, dass Leih-Fahrräder eine gewerbliche Nutzung des öffentlichen Raums darstellen und deshalb als „Sondernutzungen“ anzusehen sind. Diese sind erlaubnispflichtig (seitens der Stadt) und können von dieser entsprechend reguliert und mit Auflagen versehen werden.

Ob und wieweit sich dieses Urteil des OVG Münster auch auf das Thema E-Scooter übertragen lässt, ist noch nicht abschließend geklärt. Gleiches gilt für die Frage, ob dann auch andere ähnlich konzeptionierte Verkehrsmittel, etwa Carsharing-Angebote oder sogar Taxis, ähnlich zu behandeln wären.

Sollte in absehbarer Zeit in dieser Frage eine klare Richtung erkennbar sein, bestünden durch eine Änderung/Anpassung der städtischen Sondernutzungssatzung zukünftig Regulierungsmöglichkeiten. Auch hierzu wird die Verwaltung entsprechend berichten.

 

 

gez.

Dr. Claus Pommer

Bürgermeister