Betreff
Verleih und Einsatz von stationslosen E-Scootern in Hilden;
hier: Antrag der Fa. Seven Group/Bird Rides Europe
Vorlage
WP 20-25 SV 61/001
Aktenzeichen
IV/61.1 Groll_VEP
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag:

 

Der Stadtentwicklungsausschuss beauftragt die Verwaltung, mit dem E-Scooter-Verleih-Anbieter Bird Rides Europe/Seven Group Gespräche mit dem Ziel zu führen, in Hilden eine dreimonatige Probephase zum Verleihbetrieb von max. 50 E.Scootern zu ermöglichen.

Über die Ergebnisse dieser Probephase soll dem Stadtentwicklungsausschuss vor Abschluss einer weitergehenden Vereinbarung (= einseitige Verpflichtungserklärung des Anbieters) oder der Erweiterung der Testphase zunächst Bericht erstattet werden. Die Erkenntnisse sollen als Grundlage in die Verpflichtungserklärung aufgenommen werden.


Erläuterungen und Begründungen:

 

Mit Schreiben vom 28.07.2020 hat die Fa. Seven Group Germany GmbH darum gebeten, den öffentlichen Raum in Hilden für den Verleih stationsloser E-Scooter nutzen zu können (siehe Anlage 1a/1b).

 

In dieser Sitzungsvorlage werden folgende Aspekte angesprochen:

 

  1. Hintergrund
  2. Verkehrsplanerische Aspekte
  3. Rechtliche Situation
  4. Vorschlag für Hilden

 

  1. Hintergrund

 

Seit dem 15. Juni 2019 sind E-Scooter durch die „Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr“ (Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur für die Benutzung im öffentlichen Straßenverkehr zugelassen.

 

Mit dieser Zulassung ging auch das Geschäftsmodell für den Verleih stationsloser E-Scooter vor allem in Großstädten an den Start. Mit dem vorliegenden Antrag und Ansinnen auch in Mittelstädten das Verleigeschäft aufzunehmen, ergibt sich die Notwendigkeit bei den Städten und Gemeinden, sich mit der Regelung dieser Nutzungsmöglichkeit zu beschäftigen, um einen Interessensausgleich zwischen den verschiedenen Nutzungsansprüchen gegenüber dem öffentlichen Raum gerecht zu werden.

Konflikte sind hier am ehesten zu erwarten mit dem Fußgänger- und dem Fahrradverkehr, auch die Themen Stadtbild und Verkehrssicherheit sind zu beachten.

 

Zu berücksichtigen ist ebenso, dass zwar die Fa. Seven Group Germany in Hilden nachgefragt hat (die wiederum für die übergeordnete Fa. Bird Rides Europe, Amsterdam, tätig ist), es jedoch eine ganze Reihe weiterer Anbieter von E-Scooter-Verleihsystemen gibt, denen letztlich auch Zugang zur Nutzung des städtischen öffentlichen Raumes gewährt werden müsste - vorausgesetzt, ein solches Interesse besteht.

 

Ergänzend sei hinzugefügt, dass die Fa. Bird Rides Europe derzeit mit mehreren Städten des Kreises Mettmann im Gespräch ist und in der Stadt Monheim bereits ein Probebetrieb dieser Firma läuft.

 

  1. Verkehrsplanerische Aspekte

 

E-Scooter werden mit dem Anspruch vermarktet, ein Verkehrsmittel für die sog. „letzte Meile“ zu sein, also für die Verbindung zwischen einem ÖPNV-Haltepunkt und dem eigentlichen Ziel. Daraus ergeben sich durchschnittliche Fahrtweiten von E-Scooter-Nutzern in einer Größenordnung zwischen 1,5 und 2,0 km (Quelle: Umweltbundesamt).

 

Damit stehen Verleih-E-Scooter (und ihre Anbieter) in direkter Konkurrenz zum Fahrrad- und Fußverkehr; in einer flächenmäßig kompakten Stadt wie Hilden noch mehr als in größeren Städten mit größeren Entfernungen.

 

Durch E-Scooter-Fahrten werden bei den meisten Nutzern Fahrten ersetzt, die sonst mit dem ÖPNV oder zu Fuß zurückgelegt würden (Quelle: Umweltbundesamt). Zudem findet sich die größte Nutzungshäufigkeit in den Abendstunden und an Wochenenden, also in der Freizeit der meisten Menschen.

Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass sich in manchen Städten auch ein anderes Nutzungsprofil entwickeln kann.

 

Eine Entlastung der Straßen durch das Ersetzen von KFZ-Fahrten durch E-Scooter-Nutzung ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu erkennen, sondern eher eine weitere Belastung der ohnehin zu knappen Infrastruktur für Fuß- und Radverkehr.

Zwar dürfen nach den gesetzlichen Vorgaben Gehwege oder Fußgängerzonen nicht mit E-Scootern genutzt werden, sondern nur benutzungspflichtige Radverkehrsanlagen und, wenn diese nicht vorhanden sind, die Fahrbahnen der Straßen. In den Städten, wo Verleih-E-Scooter bereits seit längerem genutzt werden, zeigt jedoch die Praxis, dass das Nutzerverhalten vielfach nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht und eben doch überwiegend Gehwege genutzt werden.

 

Auch preislich ist die Verleih-E-Scooter-Nutzung nicht für längere Strecken attraktiv. Bei einer Grundgebühr von 1€/Fahrt und einem zusätzlichen Minutenpreis von 0,15 bis 0,25€ entstehen schon bei einer Fahrt von 5 Minuten (1-1,5 km) dem Nutzer Kosten, die die einer ÖPNV-Kurzstrecke im VRR-Gebiet (drei Haltestellen bzw. 1,5km; 1,70€/Fahrt) übersteigen.

 

Aller Erfahrung nach sind die Preismodelle der Anbieter von Verleih-E-Scooter auf dieser Grundlage eher auf Touristen ausgerichtet und nicht auf Berufspendler. Auch wenn sich zwischenzeitlich Preismodelle herausbilden, die über Rabatte u.ä. für Pendler freundlicher werden.

 

Also kann derzeit bei Verleih-E-Scootern nicht von einem Beitrag zur Lösung der Mobilitätsprobleme in den Städten gesprochen werden. Dies wäre erst bei einem zahlenmäßig starken Ersatz von KFZ-Fahrten durch E-Scooter-Fahrten der Fall, also bei deutlich längeren Strecken (mehr als 5 km). Das ist aber nicht absehbar.

 

Ein weiterer verkehrsplanerischer Belang stellt das Abstellen der E-Scooter dar. Abgestellt werden dürfen Verleih-E-Scooter wie andere E-Scooter auf Gehwegen, ähnlich wie sog. „Mietfahrräder“ (Quelle: NWStGB).

 

  1. Rechtliche Situation

 

Durch die allgemeine Zulassung von E-Scootern ist es den Städten nicht möglich, die Nutzung von E-Scootern generell zu untersagen. Diese Elektrokleinstfahrzeuge werden wiederum in großer Zahl von verschiedenen, oft international agierenden Unternehmen auf Verleih-Basis gegen Bezahlung zur Verfügung gestellt.

 

Vom Grundsatz her geht es zunächst um die Beantwortung der Frage, ob es sich bei Verleih und Betrieb von E-Scootern um einen „Gemeingebrauch“ oder eine „Sondernutzung“ der öffentlichen Verkehrsfläche (inkl. Gehweg) handelt.

 

Der erlaubnisfreie Gemeingebrauch liegt nach den bundes- und landesrechtlichen Vorschriften vor, wenn die öffentliche Straße im Rahmen der Widmung und der Straßenverkehrsvorschriften zum Zwecke des Verkehrs benutzt wird.

Eine erlaubnispflichtige Sondernutzung ist die Nutzung der öffentlichen Straße über den Gemeingebrauch hinaus, die den Gemeingebrauch zumindest abstrakt zu beeinträchtigen droht. Liegt keine Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs vor, richtet sich die Nutzung nicht nach öffentlichem, sondern nach bürgerlichem Recht.

 

Das maßgebliche Abgrenzungskriterium zwischen Gemeingebrauch und Sondernutzung ist der Zweck der Nutzung. Entscheidend ist, inwiefern es sich um eine Nutzung zum Zwecke des Verkehrs handelt. Verkehr meint in diesem Zusammenhang die Benutzung der Straße zur Fortbewegung, also zur Ortsveränderung zum Personen- oder Gütertransport, unter Einschluss des ruhenden Verkehrs.

 

Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages kommt in diesem Zusammenhang im April 2020 zu der Schlussfolgerung, dass das Nutzen und Abstellen von Verleih-E-Scooter als Teil des Gemeingebrauchs anzusehen sind, solange die E-Scooter zugelassen und betriebsbereit sind sowie hauptsächlich zum Zwecke des Personentransports eingesetzt werden.

 

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund sowie der Deutsche Städtetag betrachten wie auch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur ebenfalls die E-Scooter-Nutzung als Teil des Gemeingebrauches (bzw. den E-Scooter als Verkehrsmittel der Nahmobilität).

 

Aufgrund fehlender höchstrichterlicher Rechtsprechung wird das Thema Verleih-E-Scooter dennoch in den deutschen Kommunen unterschiedlich gehandhabt.

 

Es gibt Städte wie Düsseldorf, die in der Verleih-E-Scooter-Nutzung eine erlaubnispflichtige Sondernutzung sehen, und Städte wie Köln, die diese E-Scooter-Nutzung dem Gemeingebrauch zuordnen.

Im Zusammenhang mit dem vergleichbaren Thema der „stationslosen Verleih-Fahrräder“ wurde seitens des Verwaltungsgerichtes Düsseldorf jüngst zugunsten des „Gemeingebrauches“ entschieden.

 

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat deshalb zusammen mit dem Deutschen Städtetag und vier E-Scooter-Verleih-Anbietern auf Basis des Gemeingebrauchs („Nahmobilität gemeinsam stärken“) ein sog. „Memorandum of Understanding“ herausgebracht. Auf dieser Grundlage können individuelle Vereinbarungen zwischen Städten und Verleihern ausgearbeitet und getroffen werden können, die sich rechtlich als (einseitige) Verpflichtungserklärungen der Anbieter gegenüber der jeweiligen Stadt darstellen.

 

Im Kreis Mettmann folgt etwa die Stadt Monheim diesem Weg; nach einer mehrwöchigen Probephase soll auf der Basis der dabei gewonnenen Erfahrungen und dem o.g „Memorandum“ eine eigene Vereinbarung geschlossen werden. In Monheim ist die gleiche Firma tätig, die auch für Hilden ihr Interesse angemeldet hat („Bird Rides“ zusammen mit „Seven Group“).

Von der Größenordnung her werden in dieser Probephase in Monheim zwischen 40 und 50 Verleih-E-Scooter eingesetzt. Zu einem späteren Zeitpunkt - je nach Erfolg - sollen max. 80 E-Scooter eingesetzt werden.

 

  1. Vorschlag für Hilden

 

Aufgrund der rechtlichen Einschätzung ist - trotz der verkehrsplanerischen Vorbehalte - davon auszugehen, dass es nur begrenzte Steuerungsmöglichkeiten der Stadt Hilden für die Nutzung der öffentlichen Verkehrsflächen durch Verleih-Anbieter für E-Scooter gibt.

 

Um dennoch vor diesem Hintergrund nachteilige Auswirkungen möglichst zu vermeiden, hat die Verwaltung nachfolgende Thesen erarbeitet, die in einer Vereinbarung mit den Verleih-Anbietern berücksichtigt werden sollten. Ziel ist es, nach einer Probephase mit Bird Rides Europe eine (einseitige) Verpflichtungserklärung zu erhalten (Bird Rides verpflichtet sich zu bestimmten, mit der Stadt Hilden vereinbarten Aspekten beim Betrieb der E-Scooter).

 

Der Vorschlag enthält folgende Elemente:

 

·        Definition von Bereichen der Stadt, in denen kein Verleih-E-Scooter-Betrieb möglich sein soll: im Detail die Fußgängerzone in der Innenstadt (Mittelstraße, Warrington-Platz, Heiligenstraße, Schulstraße, Nove-Mesto-Platz, Kurt-Kappel-Straße), der Stadtpark, die städtischen Friedhöfe; Flächen außerhalb des Siedlungsbereiches wie der Stadtwald)

[Hinweis: diese Bereiche können in der entsprechenden Betriebs-App eingespeichert werden, so dass hier beim Abstellen die Mietnutzung und damit die Kosten weiterlaufen würden. Es ist davon auszugehen, dass deshalb in solchen Zonen keine Verleih-E-Scooter abgestellt werden.]

·        Definition von bevorzugten Abstellbereichen für E-Scooter: im Detail z.B. Bahnhof Hilden, Haltepunkt Hilden-Süd, Gabelung, Fritz-Gressard-Platz, Beethovenstraße/Joh.-Seb.-Bach-Straße, Campus Holterhöfchen, St.Konrad-Allee, Nordmarkt, Neubaugebiet Gelände Theodor-Heuss-Schule u.a.). Hierdurch wird ein „Hybrid-Modell“ zwischen der beabsichtigten „free floating“-Vorgehensweise des Interessenten und einer stationsbasierten Verleihung erreicht. Derartige Hybrid-Modelle sind für die Anbieter auch in anderen Städten Praxis.

·        Vereinbarung einer dreimonatigen Erprobungsphase, beginnend im Frühjahr 2021 (03/2021) mit einer Begrenzung der Fahrzeugzahl auf max. 50 E-Scooter.

·        Nach Ende der Probephase gemeinsame Auswertung der bis dahin gewonnenen Erkenntnisse hinsichtlich der Aspekte Verkehrssicherheit, Nutzungsintensität, Nutzungsprobleme usw.

·        Je nach Ergebnis der Auswertung Abschluss einer (einseitigen) Verpflichtungserklärung des Betreibers Bird/Seven gegenüber der Stadt Hilden über den dauerhaften Betrieb oder die Vereinbarung einer weiteren Probephase mit anderen angepassten Parametern.

 

 

 

Gez.

 

In Vertretung

Danscheidt

1. Beigeordneter