Betreff
Pro.Te.Kt Netzwerk gegen Kinderarmut
Vorlage
WP 09-14 SV 51/204
Aktenzeichen
III/51
Art
Mitteilungsvorlage

Beschlussvorschlag:

 

Der Jugendhilfeausschuss nimmt den Bericht zur Kenntnis.


Erläuterungen und Begründungen:

 

Seit August 2011 nimmt Hilden am vom Landschaftsverband Rheinland auf drei Jahre gefördertem Projekt –Teilhabe sichern, Netzwerke gegen Kinderarmut – als eine von 10 geförderten Kommunen teil. Ziel ist, über eine Netzwerkkoordination ein präventiv arbeitendes, gesteuertes Netzwerk zur Kinderarmutsprävention zu installieren.

 

1.         Kinderarmut – eine Einführung

Gesellschaftliche Veränderungen, immer schnellere und bessere Möglichkeiten des Wissenstransfers, internationale Vergleiche lassen Bildungs-, Lebens- und Armutsbiographien gerade von Kindern im politischen Raum in den Blickpunkt rücken.

„In Deutschland ist jedes fünfte Kind arm.“ so bereits der Wochenbericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung des Jahres 2002. (Mittelmaß fürKinder, Unicef-Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland, Beck Verlag, München, 2008)

 

“Jedes sechste Kind in Deutschland ist von Armut betroffen;“ das besagt der Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland von Unicef aus Mai 2008. (DIW Berlin, Wochenbericht 5/2002)

Laut Kinderschutzbund leben in Deutschland ca. 2,5 Mio Kinder unterhalb der Armutsgrenze; 1,8 Mio davon sind unter 15 Jahre alt; das sind 18,7 % der Gesamtbevölkerung Deutschlands. (Deutscher Kinderschutz Bundesverband e.V. Veröffentlichung 2011) 

 

Der OECD Armutsbericht spricht neben der ökonomischen Armut auch von Bildungsarmut, schlechte Chancen bei der Erlangung eines Schulabschlusses und von einem erhöhten Krankheitsrisiko. Als Ursachen für Armut in Deutschland werden hauptsächlich Arbeitslosigkeit, alleine Kinder erziehen, Kinderreichtum und Migrationshintergrund genannt. Unter dieser Deregulierung leidet zunehmend das soziale Gleichgewicht in unserer Gesellschaftsstruktur. Kinder schlecht ausgebildeter Eltern schneiden im OECD-Bildungsvergleich um 1/5 schlechter ab als Kinder bildungsnaher Familien. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland von 29 untersuchten Ländern am unteren Ende der Bildungsskala. (www.oecd.org/de/bildungaufeinenblick)

 

Kinder haben keine Chance, alleine ihre prekäre Lage zu verändern und ihre Möglichkeiten zur Teilhabe in der Gesellschaft verbessern. Arme Kinder kommen aus armen Familien und werden arme Erwachsene werden, wenn diese Spirale nicht aktiv durch entsprechende Maßnahmen unterbrochen wird.

 

 Die Zugehörigkeit armutsgefährdeter Kinder zu bestimmten Gruppen (Alleinerziehende, junge Eltern, ethnische Zugehörigkeit, arbeitslose oder geringbeschäftigte Eltern) unterscheidet sich in Europa und den USA kaum. Überall haben die in Armut aufwachsen den Kinder ungünstigere Entwicklungschancen.

Daher ähneln sich die Ziele EU-weit:

•           Verbesserung der finanziellen Lage der Familien

•           Vermeidung von Ausgrenzung durch Armut

•           Vermeidung von Vererbung von Armut über Generationen

Auch die Strategien, diese Ziele umzusetzen, sind gleich:

•           Erhöhung der finanziellen Ressourcen

•           Verringerung der Ausgaben von Familien (z. B. kostenfreie Kinderbetreuungsplätze)

•           Strategien, die auf das Wohlergehen der Kinder ausgerichtet ist (integrative Bildung, Stärkung der Handlungskompetenz lokaler Netzwerke, Entwicklung von Diensten zum Kinderschutz, Stärkung der Familien). (Europäische Kommission, Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung, Vermeidung und Verringerung von Kinderarmut, 2005)

 

 

Die Sozialarbeiterin und Politikwissenschaftlerin Gerda Holz, Mitarbeiterin am Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik, dort tätig in der Praxisforschung Armut bei Kindern unterscheidet zwei  Handlungsebenen des Entgegenwirkens bei Kinderarmut:

•           Strukturelle Armutsprävention

Gestaltung/Veränderung von Verhältnissen, z.B. durch armutsfeste Grundsicherung sowie umfassende und qualifizierte öffentliche Infrastruktur

 

 

 

•           Individuelle Förderung und Stärkung

Gestaltung/Veränderung von Verhalten/Handeln durch Angebote/Maßnahme über öffentliche Infrastruktur, individuelle Zeit und Kompetenz

 

Sie nimmt die Umgebung des Kindes in den Fokus und rät, dort feste Bildungs- und Freizeitangebote zu installieren um eine individuelle Stärkung und Förderung gerade benachteiligter Kinder zu erreichen. Holz benennt diese Ebenen als entscheidend in der Armutsbekämpfung und -prävention.

 

Dr. R. Lutz, Professor an der FH Erfurt, erklärt, dass der Begriff Armutsprävention weit und zugleich strukturell unklar umrissen ist.

Programme zur Armutsprävention sollten Perspektivfindung, Unterstützung im Alltag und  Hilfen im sozialräumlichen Kontext für Familien und Kinder umreißen - das Einrichten von Schutzfaktoren und die Förderung von Resilienz sollten klare Ziele sein. 

Somit dürfen Ansätze zur Prävention von Kinderarmut nicht nur lediglich  schlechte Bedingungen von Kindern als Folge von Armut berücksichtigen, sondern sollten auch - oder gerade - die ökonomischen und sozialen Verhältnisse der gesamten Familie berücksichtigen. (Lutz, Ronald, Verwirklichungskulturen als kommunale Armutsprävention in Lutz, R. ; Hammer, V. (Hrsg.) Wege aus der Kinderarmut, Juventa, 2010,

IT NRW, Landesdatenbank, Stand: 12.07.2011)

 

 

Armut stellt sich laut der Definition des Sozialberichtes für das Landes NRW (2007) so dar:

Einzelpersonen, die 50% des bedarfgewichtigen Äquivalenzeinkommens, also 637 € zur Verfügung haben, werden als „arm“ bezeichnet,  – ‚armutsnah’ wird mit 60%, also 765 € beziffert. (vgl. MAGS, Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Sozialbericht NRW online, 2009)

 

 

Der Familienbericht Hilden 2010 (Familienbericht Stadt Hilden 2010 – Lebenslage und Zufreiedenheit von Familien, Faktor Familie GmbH, Prof. Dr. Klaus P. Strohmeier, wissenschaftl. Direktor) stellt die sozio-ökonomische Situation besonders der Kinder mit folgenden Determinanten in den Focus:

 

Das Armutsrisiko für

-           Kinder mit Migrationshintergrund

-           Kinder aus Ein-Elternfamilien

-           Kinder mit einer Vielzahl an Geschwistern steigt!

 

Anteil der Kinder unter 15 Jahre im SGB II Bezug an allen unter 15-Jährigen in Hilden

15.9% bundesweit

 

 

Anteil der Kinder unter 3 Jahre im SGB II Bezug an allen unter 3-Jährigen in Hilden

19,8% bundesweit

 

Anteil der Haushalte mit Kindern an allen Haushalten mit SGB II Bezug in Hilden:

            2007 – 34 %

            2008 – 34%

            2009 – 32%

 KONZEPT PROTEKT

 

        

Ziel des Teilhabekonzeptes ist es, die Abwärtsbewegung aus Armut in der Kindheit zum Unterstützungsbedarf im Erwachsenenalter aufzufangen und schon Kindern eine gerechte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen!

Pro-Te-Kt ist ein nahtloser Betreuungsring, der von der frühesten Kindheit bis zum Berufseinstieg junger Menschen eine lückenlose Betreuung zur Sicherung von Teilhabe anbietet. Die angewandten Strategien sind je nach Bedarf eltern-, kind, oder sozialraumorientiert.

Dieser Betreuungsring gliedert sich in folgende Maßnahmenblöcke:

 

1.    Sicher starten! Hildens früheste Hilfen

2.    Von Grund auf! Kinder in frühpädagogischen Einrichtungen

     3.    Bildungspäckchen! Das Recht von Kindern auf Bildung

     4.    In Bewegung! Sport für Kinder

     5.    Keiner ist allein! Empoweringangebote

     6.    Ganz günstig! Sicherung von Teilhabemöglichkeiten

     7.    Ethno – logisch! Angebote speziell für Familien und Kinder mit Migrationshintergrund

     8.    Die Lücke schließen

 

Nur unter Mithilfe aller relevanten Hildener Akteure wie federführend das Amt für Jugend, Schule und Sport, Familienzentren, Beratungsstellen, Gesundheitsamt, Freie Träger kann Teilhabe für Kinder verbindlich und aufeinander abgestimmt werden.

 

Aufgaben, Arbeitsweise, Grundgedanken des Pro-Teilhabe-Konzeptes „Pro-Te-Kt“:

 

  • Für eine zukunftsorientierte, nachhaltige Verbesserung der Teilhabe benachteiligter Kinder und deren Familien in Hilden erarbeitet die Koordinierungsstelle ein tragfähiges Konzept, integriert in das bereits vorhandene Netzwerk - der Bildungskoordination
  • Die Anwendung methodischer Verfahren zur Erhebung von Daten, und die  analytische Datenauswertung stellt einen ersten Arbeitsschwerpunkt für die interdisziplinäre und methodisch vielfältig arbeitende Koordinationsstelle Armut dar; dazu gehört eine Analyse bereits vorhandener kommunaler Angebote und Weiterentwicklungsmöglichkeiten

(Expertenrunde zum Thema Armutsprävention und die Erarbeitung weiterer Handlungsfelder, Fragebogenaktion KiTas, Grundschulen, weiterführende Schulen – Eltern- und Lehrerfragebogen; Fortsetzung geplant durch Teilhabecoaches)

  • Ca. ¼-jährlich wird eine Experten-Diskussionsrunde mit kommunalen Institutionen, KiTA-Leitungen, Grundschul- und weiterführende Schulen Leiter u. Leiterinnen, Freie Träger und anderer wichtiger Akteure in Hilden als Multiplikatoren veranstaltet Dabei werden interdisziplinär aktuelle Ergebnisse diskutiert, methodische und praktische Ansätze besprochen, weiterführende Ideen und Lösungen vorgestellt um so ein wirksam arbeitendes, tragfähiges, und beständiges Netzwerk zur Teilhabesicherung benachteiligter Kinder zu installieren.
  • Die Teilnehmer berichten von ihren Erfahrungen, so dass gezielt Handlungsherausforderungen erkannt und angenommen werden können Zwischenzeitlich wird, unterstützt durch die Koordinierungsstelle, Vernetzungen zwischen einzelnen Institutionen durch themenzentrierte Gesprächsangebote ausgeweitet
  • Erkenntnislücken, die erst durch die laufende Arbeit in den Runden und die Vermittlung von interdisziplinärer Vernetzung deutlich werden, werden gebündelt und als Initiierung weiterer Handlungen genutzt
  • Langfristiges Ziel der Intervention der Koordinationsstelle soll ein ‚Mentoring’ der in Hilden benachteiligten Kinder und Jugendlichen sein – d.h. die Lebensbiographie wird durch einen jeweils für eine Institution bestellten Mentor oder Mittler begleitet, Teilhabe ermöglicht, und eine möglichst reibungslose Transition in die nächste Institution eingeleitet und begleitet

 

Außenwirkung

  • Durch Kooperationen und einem gemeinsamen Handlungsansatz bildet sich ein Hildener (Armuts-)Netzwerk, das einen wesentlichen Beitrag zur Strukturierung der Koordinationsstelle Armut in Bezug auf den Gegenstand Teilhabe für benachteiligte Kinder und deren Familien leistet. Es werden Gespräche mit ExpertInnen zu herausgearbeiteten Problemen und deren Ãœberwindung geführt
  • Durch Fachtagungen bzw. Veranstaltungen aller Beteiligten, der wissenschaftlichen Begleitung und dem Austausch werden Ergebnisse in Vorträgen und Präsentationen in die Öffentlichkeit getragen
  • Durch eine Beteiligung der Armuts-Koordinationsstelle mit dem Projekt ‚Bildungslandschaft’  werden zahlreiche bereits vorhandene Kontakte genutzt und um den Aspekt “Teilhabe ermöglichen“ erweitert

Wirksamkeitsmessung

Die Komplexität sozialer Wirklichkeit macht es schwierig, die soziale Situation von durch Armut bedrohte Kinder und Familien mittels operationalisierter Sozialindikatoren darzustellen und damit als gesellschaftlich wahrgenommene und akzeptierte Armut offen zu legen. Die objektive Beantwortung der Frage welches Kind arm ist, ist fast unmöglich zu beantworten; es müssen immer Werteentscheidungen getroffen werden – die Basis ist das Wohlstandsniveau der Hildener Gesellschaft –

Von Nachweis einer Wirkung im Fall der Armutsbiografien unter besonderer Berücksichtigung der Bildungsverläufe kann gesprochen werden, wenn eine Verbesserung der kindlichen und familiären Lebensbezüge eingetreten ist, die als Veränderung oder Stabilisierung wahrgenommen wird.

Eine Dokumentation dieser Veränderung soll verdeutlichen, dass die gemessenen Resultate auf das Konzept rückführbar sind.

Zu messen wäre die Übernahme neuer Handlungsweisen und  veränderte kognitive Kompetenzen der Zielgruppe, eine Veränderung des Lebenslagenstatusses durch soziale Integration und messbare Veränderung bei der Teilnahme von angebotenen Aktivitäten und Kursen und Maßnahmen zur Ressourcen- und Kompetenzstärkung.

Ein guter Start für Kinder auf der Grundlage umfassender Betreuungs- und Förderangebote sowie eine integrale Teilhabe- und Netzwerkarbeit kann die Lage der von Armut bedrohten Kinder in Hilden nachhaltig verbessern.

 

 

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Am 28.03. und 29.03.2012 fanden in Hilden die Fokustage zur Kinderarmutsprävention statt.

 

Teil nahmen rund 95 Teilnehmer aus Kommunalpolitik, Kindertagesstätten, Grundschulen, weiterführenden Schulen, Beratungsstellen, Bildungseinrichtungen und aus weiteren Berufsfeldern der pädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, um sich über das Thema Kinderarmut auszutauschen, zu informieren. 

Weitere Planung:

Die nächsten Schritte der Hildener Armutskoordination sind nun die Erstellung einer ausführlichen Dokumentation der Fokustage für das Internet, die Mittler-Schulung im Herbst, das Erstellen einer Handreichung zum Thema Kinderarmut, sowie fortlaufende Öffentlichkeitsarbeit, um die negative Konnotation abzuschwächen und ‚Armut‘ aussprechbar zu machen.

 

 

Diese Grafik stellt die Ideen und Wünsche der Hildener Beratungslandschaft dar

 


 

Finanzielle Auswirkungen  

 

Nein

 


Personelle Auswirkungen

 

Nein