Betreff
Bericht Ausbau videogestützter Beratung in der Psychologischen Beratungsstelle
Vorlage
WP 09-14 SV 51/103
Aktenzeichen
III/51/Topp/Mh
Art
Mitteilungsvorlage

Beschlussvorschlag:

Der Jugendhilfeausschuss nimmt den Bericht zum Ausbau videogestützter Beratung in der Psychologischen Beratungsstelle zur Kenntnis.

 

 

 


Erläuterungen und Begründungen:

Die Psychologische Beratungsstelle der Stadt Hilden unterstützt seit jeher Eltern, möglichst frühzeitig ihre Elternschaft kompetent und zufriedenstellend auszuüben. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Stärkung der Eltern-Kind-Beziehung, d.h. auf der Verbesserung der Interaktionsprozesse zwischen Eltern und Kindern. Eltern sollen konkret (wieder) in die Lage versetzt werden, die Äußerungen ihrer Kinder stimmiger zu deuten und die Balance zwischen offenem Zugehen auf die Kinder und notwendiger Grenzsetzung zu finden.

Die praktische Beratungserfahrung zeigt in den letzten Jahren immer häufiger die Grenzen eines allein auf Gespräch und Nachdenken fokussierten Beratungsvorgehens. Immer häufiger fällt es Eltern schwer, überhaupt noch wahrzunehmen, wie schnell Kontakt- und Kommunikationssignale ihrer Kinder wechseln können. Mithin erleben sich Eltern zunehmend hilflos („Parentale Hilflosigkeit“), und die immer wieder, zumindest für kurze Zeit spürbaren Chancen für den Einstieg in positivere, gegenseitig wertschätzendere Abläufe zwischen Eltern und Kindern werden übersehen.

Seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts hat insbesondere die Säuglingsforschung und die Forschung zur Mutter-Kind-Dyade grundlegende Erkenntnisse zu den Mikroprozessen zwischen Mutter und neugeborenem Kind erbracht, die in unterschiedliche Ansätze therapeutischer und beraterischer Eltern-Kind-Arbeit eingeflossen sind. Gemeinsam ist diesen Ansätzen der Blick auf die in kleinere Schritte („Mikroanalyse“) unterteilten konkreten Interaktionen zwischen Eltern und Kindern. Videoaufzeichnungen ermöglichen die Analyse exemplarischer Interaktionsabläufe zwischen Eltern und Kindern. Zentrale Interaktionsmuster werden schnell mit außerordentlicher Klarheit deutlich und lassen sich zwischen Beratern / Therapeuten und den ratsuchenden Familienmitgliedern gut reflektieren. Dabei können Situationen positiven Gelingens zwischen Eltern und Kindern neu entdeckt werden. Es können kindliche Bedürfnissignale neu wahrgenommen werden. Es können aber auch Momente zum „Umkehren“ erkannt werden, wo wegen eskalierender Auseinandersetzungen gegenseitige Bedürfnisse nicht mehr gesehen wurden.

 

Strategische Ziele

Vor dem Hintergrund der beschriebenen Veränderung der Problemlagen von Eltern, die die Beratungsstelle aufsuchen, in Verbindung mit den schrittweise fundierter sich entwickelnden videogestützten Interventionstechniken für die Beratungsarbeit wurde ab 2008 der Auf- und Ausbau videogestützter Beratungsformen auch in der Psychologischen Beratungsstelle der Stadt Hilden strategisch vereinbart.

In der Umsetzung ging es zunächst ab 2008 darum, in der Beratungsstelle einen Weiterbildungsschwerpunkt in Verbindung mit ausreichenden qualitätssichernden Supervisionsmöglichkeiten bezogen auf die Techniken der Video-Interaktions-Beobachtung und -Beratung zu entwickeln.

Daneben standen Modernisierung und Vervollständigung der nötigen Videotechnik an.

Zur Entwicklung dauerhafter, systematischer Einsatzkriterien für videogestützte Beratungsformen sollten dann mittelfristig die Erfahrungen der MitarbeiterInnen mit Akzeptanz, Eignung und Modifikationen der Videotechnik bei unterschiedlichen Problemlagen, unterschiedlichen Familienkonstellationen und unterschiedlichen Beratungsanliegen im Sinne einer ersten Evaluation ausgewertet werden.

 


Maßnahmen

Weiterbildung und Supervision der MitarbeiterInnen

Es wurden unterschiedliche Video-Interaktions-Beratungstechniken auch im Sinne einer möglichst breiten Qualifizierung des Teams von den einzelnen MitarbeiterInnen für die eigene Weiterbildung

 

ausgewählt. Eine Mitarbeiterin hatte bereits vor 2008 eine Weiterbildung in Video-Interventions-Therapie (nach G. Downing) begonnen und besucht seither 3-4mal jährlich eine entsprechende kollegiale Intervisionsgruppe zusammen mit KollegInnen aus kinderneurologischem Zentrum, psychosomatischer Tagesklinik und anderen Beratungsstellen der Region.

In Video-Home-Training / Video-Interaktions-Begleitung (nach dem holländischen SPIN-Modell) ließen sich ab 2008 zwei Mitarbeiterinnen weiterbilden, eine dritte Mitarbeiterin konnte ab 2010 in diesen Weiterbildungsgang mit fortlaufender Supervisionsgruppe quer einsteigen.

Eine MarteMeo-Weiterbildung durchläuft eine weitere Mitarbeiterin seit 2009. Sie befindet sich derzeit (Februar 2011) im Abschlussverfahren.

Für 2011 ist eine Zusammenführung in einer gemeinsamen Intervisionsgruppe innerhalb der Beratungsstelle in Verbindung mit punktuellen Inhouse-Seminaren geplant, wodurch Synergieeffekte hin zur weiteren Wirksamkeitssteigerung in der individuellen Beratungsarbeit zu erwarten sind.

Modernisierung der Videotechnik
Der Einstieg der MitarbeiterInnen in die Videoarbeit konnte zunächst mit der zur Ausstattung der Beratungsstelle gehörenden Videokamera, insbesondere vor dem Hintergrund der nur begrenzt überlappenden Teilzeitarbeitsverhältnisse der MitarbeiterInnen, gesichert werden. Nur der Bildschirm, der für die Analyse der Videosequenzen gemeinsam mit den Familien erforderlich war, erwies sich als nicht auf einem angemessenen Stand, weshalb dieser erneuert wurde.

Mit dem Einstieg weiterer MitarbeiterInnen in diese Arbeit (2009 und 2010) traten dann aber auch Engpässe auf, weshalb schließlich 2010 eine zweite Videokamera mit nun auch erleichterten Möglichkeiten zum Anschluss an Computermonitore angeschafft wurde.

Perspektivisch wird – angesichts der mit über 90% inzwischen erreichten Fast-Komplettversorgung deutscher Haushalte mit PCs – an den Erwerb eines arbeitsökonomischen Computerprogramms (Videoschnitt etc.) gedacht, das dann ermöglicht, dass den Familien die wichtigsten Lernsequenzen aus ihren Videos auch für die eigenständige Betrachtung zuhause zur Verfügung gestellt werden können.

 

Beschreibung des Vorgehens

Bei der videogestützten Beratungsarbeit wird eine typische Stresssituation aus dem Familienalltag, bei der mindestens 2 der Familienmitglieder anwesend sind (gemeinsames Essen, Hausaufgaben-Erledigen o.ä.), in einem überschaubaren Zeitrahmen aufgezeichnet, je nach Technik zwischen 10 und 30 Minuten.

Dies kann entweder vor Ort in der Beratungsstelle oder – sofern die Eltern sich das zutrauen – bei der Familie zu Hause geschehen. Viele Eltern besitzen eine eigene Videokamera, so dass sie ohne viel Aufwand die Kamera zu einem geeigneten Zeitpunkt einfach mitlaufen lassen können. Alternativ machen die BeraterInnen die Aufnahme.


In einem gemeinsamen Auswertungsgespräch zwischen Eltern und Berater/in werden ausgewählte Sequenzen dann unter verschiedenen Aspekten analysiert:

§         Welche Verhaltens- und Interaktionsmuster zeigt das Kind auf den verschiedenen Ebenen (verbal, nonverbal)?

§         Wo sind möglicherweise spezielle Überforderungen des Kindes feststellbar, die die Eltern bisher nicht sehen konnten?

§         Wie fällt die Antwort der Eltern auf die Interaktionsangebote der Kinder aus (und zwar sehr konkret in Bezug auf alle Aspekte, die für eine gelingende Kommunikation bedeutsam sind: räumliche Nähe zum Kind, Mimik, Gestik, Tonfall, Inhalte)?

§         Auf welche Anteile der Kommunikation reagiert das Kind bevorzugt, wie ist es gut zu erreichen?

§         Wo sind Sequenzen gelungener Kommunikation zu sehen und wie können die Eltern ihr dort gezeigtes Verhalten auf andere, noch problematische Situationen übertragen?

Ziel ist die Reflektion über zentrale (günstige sowie ungünstige) Interaktionsmuster. Der im Gespräch über das Video mögliche gemeinsame Blick auf die Situationen und das nun in Ruhe mögliche Gespräch über die begleitenden körperlichen, gedanklichen und emotionalen Prozesse wird schließlich für die Entwicklung von Lösungsmöglichkeiten und Verhaltensalternativen gemeinsam mit der Familie genutzt.

 

Nutzungshäufigkeit videogestützter Beratungsformen 2010

Wo 2008 und 2009 der Einsatz videogestützter Beratung noch stark auf Weiterbildungszwecke beschränkt sein musste, wurden 2010 schon 22 Familien (i.e. 3,9% aller Beratungsfälle) regulär videogestützt beraten werden.

8 (36%) der Familien trauten sich eine Videoaufnahme zuhause zu, 5 (23%) der Familien zählten zu den mehrfach und massiv belasteten Familien.

Im Fokus der Beratungen standen neben den 22 primär angemeldeten Kinder auch 4 Geschwisterkinder. Von diesen 26 Kindern waren 12 (46%) Kinder im Kindergartenalter, 9 (35%) Kinder im Grundschulalter und 5 (19%) Kinder älter. Damit waren Familien mit Kindern im Kindergartenalter bei dieser Methodik deutlich gegenüber der gesamten Klientel der Beratungsstelle überrepräsentiert.

 

Erfahrungen / Erste Evaluation

Videogestützte Beratung wurde durchweg individualisiert im Verlauf des Beratungsprozesses dann angeboten, wenn ein genauerer Blick auf die Interaktionen z.B. bei zu starker Defizitorientierung oder bei für die Familie zu schwer fassbaren und kommunizierbaren Interaktionsproblemen hilfreich erschien. Ablehnungen traten durch dieses vorsichtige Vorgehen fast nicht auf.

Als Schwerpunktzielgruppe für die Arbeit stellten sich Familien mit kleineren Kindern heraus. Dabei spielte oft eine Rolle, dass es gerade Eltern von kleineren Kindern immer wieder schwer zu fallen scheint, die im Beratungsgespräch erarbeiteten Hilfestellungen zu Hause umzusetzen. Wo Interaktionsprozesse zwischen Eltern und Kindern vorwiegend auf nonverbaler Ebene ablaufen, je jünger die Kinder sind, umso mehr, erweist sich die Videoarbeit als effektiveres Mittel zur Wahrnehmungsschulung.

In der praktischen Nutzung durch die MitarbeiterInnen der Beratungsstelle zeigte sich aber auch, dass je Videoeinsatz insgesamt schnell ein 2- bis 3-facher Zeitaufwand relativ zu einer allein gesprächsorientierten Beratungseinheit entstand. Verantwortlich dafür ist der Zusatzaufwand, der mit dem gezieltem Auswahlprozess von Videoszenen und der darauf basierenden Nachbesprechung mit den Familien verbunden ist. Im Ausgleich dafür wirkten die bei den Familien ausgelösten Verstehensprozesse überwiegend stark und emotional involvierender als ohne das bildliche „Einfangen“. In der Mehrzahl der Fälle konnte durch recht direkt eintretende Verhaltensveränderungen das Selbstvertrauen der Familien derart gestärkt werden, dass die Intensität der Beratungen auch bald reduziert werden konnte.

Hinsichtlich des personellen Aufwands muss allerdings die Durchführung videogestützter Beratung im häuslichen Feld der Familie weiterhin als außerordentlich zeitintensiv (1½-facher bis doppelter Zeitaufwand) bewertet werden.

Generell erwies sich für die meisten Eltern das Medium „Video“ als sehr vertraut und daher im Rahmen eines sicheren und wohlwollenden Beratungskontaktes gut nutzbar. Möglicherweise spielt für die hohe Akzeptanz auch eine Rolle, dass der „Auftritt“ vor der Kamera oft auch als besondere Wertschätzung erlebt wird. Schließlich dürften Technikinteressen der Jungs in der Familie zusätzlich die Mitarbeit erleichtern. Fast alle Eltern zeigten sich erstaunt, wie viel direkt umsetzbare Ansatzpunkte zur Veränderung sich schon aus der ersten Aufnahme erarbeiten lassen.

 

Fazit und weitere Maßnahmen

Die Beratungsstelle steht aktuell am Übergang von der Qualifizierungsphase der einzelnen MitarbeiterInnen zu einem systematischer koordinierten, gemeinsamen Bewertungs- und Einsatzvorgehen bei der videogestützten Beratung. Der geplante Ausbau kollegialer Intervision in Verbindung mit punktuellen Inhouse-Seminaren wird eine offensivere Indikationsstellung für den Einsatz von Videofeedbacktechniken in der Beratung ermöglichen.

Generell kann davon ausgegangen werden, dass der Einsatz videogestützter Beratungsformen insbesondere für Eltern mit kleineren Kindern ein besonders wirkungsvolles Vorgehen zur Verbesserung der grundlegenden Kommunikationsmuster zwischen Eltern und Kindern ist. Hinzu kommen Vorteile des Verfahrens generell bei Familien, denen die verbale Reflexion über die Vorgänge zuhause schwergefallen. Umgekehrt bietet sich in diesen Familien oft eine aufsuchende beraterische Hilfe in der Wohnung der Familie etc. an.

Gerade mit dem Hausbesuch ist aber ein höherer zeitlicher Aufwand verbunden, der derzeit die personellen Ressourcen der Beratungsstelle bei systematischer Ausweitung über den Einzelfall hinaus überfordern würde. Dennoch soll 2011 eine stärkere Abstimmung des Beratungsangebots im Bereich frühkindlicher Entwicklungsberatung für (junge) Eltern mit den in Hilden bereits bestehenden Hilfsangeboten (z.B. Arbeitskreis frühe Hilfen, PALME – Präventives Elterntraining für alleinerziehende Mütter geleitet von ErzieherInnen) erfolgen, wodurch im Ergebnis ein effizienterer Ressourceneinsatz erreicht werden soll.

 

Horst Thiele


Finanzielle Auswirkungen  

Nein


Personelle Auswirkungen

Nein