Beschlussvorschlag:
Der Jugendhilfeausschuss nimmt den Bericht zum Ausbau videogestützter
Beratung in der Psychologischen Beratungsstelle zur Kenntnis.
Erläuterungen und Begründungen:
Die Psychologische Beratungsstelle der Stadt Hilden
unterstützt seit jeher Eltern, möglichst frühzeitig ihre Elternschaft kompetent
und zufriedenstellend auszuüben. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Stärkung
der Eltern-Kind-Beziehung, d.h. auf der Verbesserung der Interaktionsprozesse
zwischen Eltern und Kindern. Eltern sollen konkret (wieder) in die Lage
versetzt werden, die Äußerungen ihrer Kinder stimmiger zu deuten und die
Balance zwischen offenem Zugehen auf die Kinder und notwendiger Grenzsetzung zu
finden.
Die praktische Beratungserfahrung zeigt in den letzten Jahren immer
häufiger die Grenzen eines allein auf Gespräch und Nachdenken fokussierten
Beratungsvorgehens. Immer häufiger fällt es Eltern schwer, überhaupt noch
wahrzunehmen, wie schnell Kontakt- und Kommunikationssignale ihrer Kinder
wechseln können. Mithin erleben sich Eltern zunehmend hilflos („Parentale
Hilflosigkeit“), und die immer wieder, zumindest für kurze Zeit spürbaren
Chancen für den Einstieg in positivere, gegenseitig wertschätzendere Abläufe
zwischen Eltern und Kindern werden übersehen.
Seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts hat insbesondere die
Säuglingsforschung und die Forschung zur Mutter-Kind-Dyade grundlegende
Erkenntnisse zu den Mikroprozessen zwischen Mutter und neugeborenem Kind
erbracht, die in unterschiedliche Ansätze therapeutischer und beraterischer
Eltern-Kind-Arbeit eingeflossen sind. Gemeinsam ist diesen Ansätzen der Blick
auf die in kleinere Schritte („Mikroanalyse“) unterteilten konkreten
Interaktionen zwischen Eltern und Kindern. Videoaufzeichnungen ermöglichen die
Analyse exemplarischer Interaktionsabläufe zwischen Eltern und Kindern.
Zentrale Interaktionsmuster werden schnell mit außerordentlicher Klarheit
deutlich und lassen sich zwischen Beratern / Therapeuten und den ratsuchenden
Familienmitgliedern gut reflektieren. Dabei können Situationen positiven
Gelingens zwischen Eltern und Kindern neu entdeckt werden. Es können kindliche
Bedürfnissignale neu wahrgenommen werden. Es können aber auch Momente zum
„Umkehren“ erkannt werden, wo wegen eskalierender Auseinandersetzungen
gegenseitige Bedürfnisse nicht mehr gesehen wurden.
Strategische Ziele
Vor
dem Hintergrund der beschriebenen Veränderung der Problemlagen von Eltern, die
die Beratungsstelle aufsuchen, in Verbindung mit den schrittweise fundierter
sich entwickelnden videogestützten Interventionstechniken für die
Beratungsarbeit wurde ab 2008 der Auf- und Ausbau videogestützter
Beratungsformen auch in der Psychologischen Beratungsstelle der Stadt Hilden
strategisch vereinbart.
In der Umsetzung ging es zunächst ab 2008 darum, in der Beratungsstelle
einen Weiterbildungsschwerpunkt in Verbindung mit ausreichenden
qualitätssichernden Supervisionsmöglichkeiten bezogen auf die Techniken der
Video-Interaktions-Beobachtung und -Beratung zu entwickeln.
Daneben standen Modernisierung und Vervollständigung der nötigen
Videotechnik an.
Zur Entwicklung dauerhafter, systematischer Einsatzkriterien für
videogestützte Beratungsformen sollten dann mittelfristig die Erfahrungen der
MitarbeiterInnen mit Akzeptanz, Eignung und Modifikationen der Videotechnik bei
unterschiedlichen Problemlagen, unterschiedlichen Familienkonstellationen und
unterschiedlichen Beratungsanliegen im Sinne einer ersten Evaluation ausgewertet
werden.
Maßnahmen
Weiterbildung und Supervision der
MitarbeiterInnen
Es wurden unterschiedliche
Video-Interaktions-Beratungstechniken auch im Sinne einer möglichst breiten
Qualifizierung des Teams von den einzelnen MitarbeiterInnen für die eigene Weiterbildung
ausgewählt. Eine Mitarbeiterin hatte bereits vor 2008 eine
Weiterbildung in Video-Interventions-Therapie (nach G. Downing) begonnen und
besucht seither 3-4mal jährlich eine entsprechende kollegiale
Intervisionsgruppe zusammen mit KollegInnen aus kinderneurologischem Zentrum,
psychosomatischer Tagesklinik und anderen Beratungsstellen der Region.
In Video-Home-Training / Video-Interaktions-Begleitung (nach
dem holländischen SPIN-Modell) ließen sich ab 2008 zwei Mitarbeiterinnen
weiterbilden, eine dritte Mitarbeiterin konnte ab 2010 in diesen
Weiterbildungsgang mit fortlaufender Supervisionsgruppe quer einsteigen.
Eine MarteMeo-Weiterbildung durchläuft eine weitere
Mitarbeiterin seit 2009. Sie befindet sich derzeit (Februar 2011) im
Abschlussverfahren.
Für 2011 ist eine Zusammenführung in einer gemeinsamen
Intervisionsgruppe innerhalb der Beratungsstelle in Verbindung mit punktuellen
Inhouse-Seminaren geplant, wodurch Synergieeffekte hin zur weiteren
Wirksamkeitssteigerung in der individuellen Beratungsarbeit zu erwarten sind.
Modernisierung der Videotechnik
Der Einstieg der
MitarbeiterInnen in die Videoarbeit konnte zunächst mit der zur Ausstattung der
Beratungsstelle gehörenden Videokamera, insbesondere vor dem Hintergrund der
nur begrenzt überlappenden Teilzeitarbeitsverhältnisse der MitarbeiterInnen,
gesichert werden. Nur der Bildschirm, der für die Analyse der Videosequenzen
gemeinsam mit den Familien erforderlich war, erwies sich als nicht auf einem
angemessenen Stand, weshalb dieser erneuert wurde.
Mit dem Einstieg weiterer MitarbeiterInnen in diese Arbeit (2009 und
2010) traten dann aber auch Engpässe auf, weshalb schließlich 2010 eine zweite
Videokamera mit nun auch erleichterten Möglichkeiten zum Anschluss an
Computermonitore angeschafft wurde.
Perspektivisch wird – angesichts der mit über 90% inzwischen erreichten
Fast-Komplettversorgung deutscher Haushalte mit PCs – an den Erwerb eines
arbeitsökonomischen Computerprogramms (Videoschnitt etc.) gedacht, das dann
ermöglicht, dass den Familien die wichtigsten Lernsequenzen aus ihren Videos
auch für die eigenständige Betrachtung zuhause zur Verfügung gestellt werden
können.
Beschreibung des Vorgehens
Bei der videogestützten Beratungsarbeit wird eine typische
Stresssituation aus dem Familienalltag, bei der mindestens 2 der
Familienmitglieder anwesend sind (gemeinsames Essen, Hausaufgaben-Erledigen
o.ä.), in einem überschaubaren Zeitrahmen aufgezeichnet, je nach Technik
zwischen 10 und 30 Minuten.
Dies kann entweder vor Ort in der Beratungsstelle oder – sofern die
Eltern sich das zutrauen – bei der Familie zu Hause geschehen. Viele Eltern
besitzen eine eigene Videokamera, so dass sie ohne viel Aufwand die Kamera zu
einem geeigneten Zeitpunkt einfach mitlaufen lassen können. Alternativ machen
die BeraterInnen die Aufnahme.
In einem gemeinsamen Auswertungsgespräch zwischen Eltern und Berater/in
werden ausgewählte Sequenzen dann unter verschiedenen Aspekten analysiert:
§
Welche Verhaltens- und Interaktionsmuster zeigt das
Kind auf den verschiedenen Ebenen (verbal, nonverbal)?
§
Wo sind möglicherweise spezielle Überforderungen
des Kindes feststellbar, die die Eltern bisher nicht sehen konnten?
§
Wie fällt die Antwort der Eltern auf die Interaktionsangebote
der Kinder aus (und zwar sehr konkret in Bezug auf alle Aspekte, die für eine
gelingende Kommunikation bedeutsam sind: räumliche Nähe zum Kind, Mimik,
Gestik, Tonfall, Inhalte)?
§
Auf welche Anteile der Kommunikation reagiert das
Kind bevorzugt, wie ist es gut zu erreichen?
§
Wo sind Sequenzen gelungener Kommunikation zu sehen
und wie können die Eltern ihr dort gezeigtes Verhalten auf andere, noch
problematische Situationen übertragen?
Ziel ist die Reflektion über zentrale (günstige sowie ungünstige)
Interaktionsmuster. Der im Gespräch über das Video mögliche gemeinsame Blick
auf die Situationen und das nun in Ruhe mögliche Gespräch über die begleitenden
körperlichen, gedanklichen und emotionalen Prozesse wird schließlich für die
Entwicklung von Lösungsmöglichkeiten und Verhaltensalternativen gemeinsam mit
der Familie genutzt.
Nutzungshäufigkeit videogestützter
Beratungsformen 2010
Wo 2008 und 2009 der Einsatz videogestützter Beratung noch stark auf
Weiterbildungszwecke beschränkt sein musste, wurden 2010 schon 22 Familien
(i.e. 3,9% aller Beratungsfälle) regulär videogestützt beraten werden.
8 (36%) der Familien trauten sich eine Videoaufnahme zuhause zu, 5 (23%)
der Familien zählten zu den mehrfach und massiv belasteten Familien.
Im Fokus der Beratungen standen neben den 22 primär angemeldeten Kinder
auch 4 Geschwisterkinder. Von diesen 26 Kindern waren 12 (46%) Kinder im
Kindergartenalter, 9 (35%) Kinder im Grundschulalter und 5 (19%) Kinder älter.
Damit waren Familien mit Kindern im Kindergartenalter bei dieser Methodik
deutlich gegenüber der gesamten Klientel der Beratungsstelle überrepräsentiert.
Erfahrungen / Erste Evaluation
Videogestützte Beratung wurde durchweg individualisiert im Verlauf des
Beratungsprozesses dann angeboten, wenn ein genauerer Blick auf die
Interaktionen z.B. bei zu starker Defizitorientierung oder bei für die Familie
zu schwer fassbaren und kommunizierbaren Interaktionsproblemen hilfreich erschien.
Ablehnungen traten durch dieses vorsichtige Vorgehen fast nicht auf.
Als Schwerpunktzielgruppe für die Arbeit stellten sich Familien mit
kleineren Kindern heraus. Dabei spielte oft eine Rolle, dass es gerade Eltern
von kleineren Kindern immer wieder schwer zu fallen scheint, die im
Beratungsgespräch erarbeiteten Hilfestellungen zu Hause umzusetzen. Wo
Interaktionsprozesse zwischen Eltern und Kindern vorwiegend auf nonverbaler
Ebene ablaufen, je jünger die Kinder sind, umso mehr, erweist sich die
Videoarbeit als effektiveres Mittel zur Wahrnehmungsschulung.
In der praktischen Nutzung durch die MitarbeiterInnen der
Beratungsstelle zeigte sich aber auch, dass je Videoeinsatz insgesamt schnell
ein 2- bis 3-facher Zeitaufwand relativ zu einer allein gesprächsorientierten
Beratungseinheit entstand. Verantwortlich dafür ist der Zusatzaufwand, der mit
dem gezieltem Auswahlprozess von Videoszenen und der darauf basierenden
Nachbesprechung mit den Familien verbunden ist. Im Ausgleich dafür wirkten die
bei den Familien ausgelösten Verstehensprozesse überwiegend stark und emotional
involvierender als ohne das bildliche „Einfangen“. In der Mehrzahl der Fälle
konnte durch recht direkt eintretende Verhaltensveränderungen das
Selbstvertrauen der Familien derart gestärkt werden, dass die Intensität der
Beratungen auch bald reduziert werden konnte.
Hinsichtlich des personellen Aufwands muss allerdings die Durchführung
videogestützter Beratung im häuslichen Feld der Familie weiterhin als
außerordentlich zeitintensiv (1½-facher bis doppelter Zeitaufwand) bewertet
werden.
Generell erwies sich für die meisten Eltern das Medium „Video“ als sehr
vertraut und daher im Rahmen eines sicheren und wohlwollenden
Beratungskontaktes gut nutzbar. Möglicherweise spielt für die hohe Akzeptanz
auch eine Rolle, dass der „Auftritt“ vor der Kamera oft auch als besondere Wertschätzung
erlebt wird. Schließlich dürften Technikinteressen der Jungs in der Familie
zusätzlich die Mitarbeit erleichtern. Fast alle Eltern zeigten sich erstaunt,
wie viel direkt umsetzbare Ansatzpunkte zur Veränderung sich schon aus der
ersten Aufnahme erarbeiten lassen.
Fazit und weitere Maßnahmen
Die Beratungsstelle steht aktuell am Übergang von der
Qualifizierungsphase der einzelnen MitarbeiterInnen zu einem systematischer
koordinierten, gemeinsamen Bewertungs- und Einsatzvorgehen bei der videogestützten
Beratung. Der geplante Ausbau kollegialer Intervision in Verbindung mit
punktuellen Inhouse-Seminaren wird eine offensivere Indikationsstellung für den
Einsatz von Videofeedbacktechniken in der Beratung ermöglichen.
Generell kann davon ausgegangen werden, dass der Einsatz videogestützter
Beratungsformen insbesondere für Eltern mit kleineren Kindern ein besonders
wirkungsvolles Vorgehen zur Verbesserung der grundlegenden Kommunikationsmuster
zwischen Eltern und Kindern ist. Hinzu kommen Vorteile des Verfahrens generell
bei Familien, denen die verbale Reflexion über die Vorgänge zuhause
schwergefallen. Umgekehrt bietet sich in diesen Familien oft eine aufsuchende
beraterische Hilfe in der Wohnung der Familie etc. an.
Gerade mit dem Hausbesuch ist aber ein höherer zeitlicher Aufwand
verbunden, der derzeit die personellen Ressourcen der Beratungsstelle bei
systematischer Ausweitung über den Einzelfall hinaus überfordern würde. Dennoch
soll 2011 eine stärkere Abstimmung des Beratungsangebots im Bereich
frühkindlicher Entwicklungsberatung für (junge) Eltern mit den in Hilden
bereits bestehenden Hilfsangeboten (z.B. Arbeitskreis frühe Hilfen, PALME –
Präventives Elterntraining für alleinerziehende Mütter geleitet von ErzieherInnen)
erfolgen, wodurch im Ergebnis ein effizienterer Ressourceneinsatz erreicht
werden soll.
Horst Thiele
Finanzielle Auswirkungen
Nein
Personelle Auswirkungen
Nein