Betreff
Deeskalationstrainings gegen Gewalt - Abschlussbericht
Vorlage
WP 04-09 SV 51/063
Aktenzeichen
III/51-UB
Art
Mitteilungsvorlage

Beschlussvorschlag:

 

„Der Jugendhilfeausschuss nimmt den Bericht zur Kenntnis.“

 


Erläuterungen und Begründungen:

 

Mit der SV 51/205 beschloss der Jugendhilfeausschuss im Jahr 2003, Deeskalationstrainings gegen Gewalt  an allen weiterführenden  Hildener Schulen durchzuführen. Diese Trainings sollten in 2 Blöcken in den Jahren 2004 und 2005 umgesetzt werden.

 

Zielsetzung war es, das  an allen Schulen und in allen Schulformen existente Thema Gewalt und Mobbing aus der Tabuzone herauszuholen und durch diese Enttabuisierung „therapierbar“ zu machen. Dazu bedarf es selbstbewusster Schüler und Schülerinnen und besonders engagierter Pädagogen. Die Bereitschaft der Hildener Schulleiterinnen und Schulleiter und der Fachkollegen in den Klassen an der Bearbeitung dieses nach wie vor heiklen Themas gilt es hervorzuheben.

 

Weiterhin sollte den trainierten Schülern und Schülerinnen ein Handwerkszeug zu einer konstruktiven Bewältigung gewaltbesetzter Situationen gegeben werden. Es galt dafür Sorge zu tragen, dass die hier beschriebenen Ansätze kein „Tropfen auf dem heißen Stein“ bleiben, sondern verstetigt werden können. Dazu bedurfte es auch perspektivisch einer kontinuierlichen Arbeit an den Schulen zu diesem Thema und der Einbeziehung möglichst vieler Elternhäuser in die Anti-Gewalt-Erziehung.

 

Deeskalationstrainings sind bereits seit einigen Jahren ein fester Bestandteil der Gewaltprävention. Im Kern geht es bei solchen Trainings darum, Jugendlichen die Kompetenz zu vermitteln, in problematischen, gewaltbesetzten Situationen ruhig und abgeklärt zu reagieren, um ein „Aufschaukeln“ der Gewaltspirale zu vermeiden. Dabei geht man von Erkenntnissen der Verhaltensforschung aus, dass ein solches Konfliktlösungs­muster gelernt, trainiert und als Programm erfolgreich angewandt werden kann. Ein Anti - Gewalt - Training sieht in der Regel folgendermaßen aus:

 

Das Training beginnt mit einem kurzen „Warming up“. Das heißt, die Gruppe wird durch Theater- und Körperübungen zum Rollenspiel motiviert. Im Laufe des Trainings überprüfen die Schüler und Schülerinnen in Partner- und Gruppenübungen ihr eigenes Verhalten in Gewaltsituationen. Durch die Simulation von bekannten Konfliktsituationen reflektieren sie ihre Verhaltensmuster und erarbeiten Lösungswege. Ein Beispiel für die Deeskalationsstrategie ist, auf verbale Provokationen nicht aggressiv, sondern cool aber dennoch nicht passiv zu reagieren. Damit bietet man dem Gegner keine Angriffsfläche. Bei diesem Training werden Stimme, Mimik und Körpersprache geschult und Signale erkannt.

 

Beispiel Täter: Ein breitbeiniger Standpunkt mit andauendem, herausforderndem Blick erzeugt gleicherweise eine Einschüchterung des Opfers oder eine Provokation einem anderen Täter gegenüber.

 

Beispiel Opfer: Eine unsichere Haltung bei Vermeidung eines Blickkontaktes signalisiert nach außen Schwäche.

 

Folgende Szenen werden im Laufe des Trainings gespielt:

 

  • verbales Partnerduell mit vorgegebenen Stichworten
  • ein Außenseiter versucht, in eine bestehende Gruppe zu gelangen
  • Bedrohung in der Straßenbahn
  • sexuelle Belästigung im Bus
  • Lehrer - Schüler Rollentausch
  • Gewaltsituation - wie kann ich als Außenstehender helfen, ohne mich selbst zu gefährden.

 


 

 

 

Abschließend berichten die Schüler und Schülerinnen über eigene Gewalterfahrungen und reflektieren die Situation in der Klasse.

 

Umgesetzt wurde das Projekt in Kooperation mit dem Düsseldorfer Trainer und Theaterpädagogen Simon Steimel, der sich im Jahr 2003 im Jugendhilfeausschuss vorgestellt hatte und mittlerweile überregionale Beachtung für seinen Projektansatz genießt. Inzwischen nahmen über 100.000 Personen aus NRW an einem solchen Training teil. Die Zusammenarbeit mit Herrn Steimel gestaltete sich zuverlässig und unkompliziert, so dass es aus Sicht des Fachamtes, einen hohen Grad der Zielerreichung festzustellen gilt.

 

Ein entsprechendes Konzept wurde im Fachamt erarbeitet und dem Jugendhilfeausschuss in der oben bezeichneten Sitzungsvorlage zum Beschluss vorgelegt.

 

An allen  Schulen wurde, wie im Konzept geplant, jeweils für  die 6.  7. und 8. Klassen ein Training angeboten.  In Ausnahmefällen kamen, nach Absprache, auch spezielle Klassen anderer Jahrgangsstufen in den Genuss eines Trainings.  Einzelne Klassen der benannten Jahrgänge kamen aber auf Grund besonderer Konstellationen (Klassenfahrten, Projekttage) nicht zum Zuge. Insgesamt kamen aber in den beiden Jahren  rund 2000 Schüler in 70 Klassen zu einem Training.

 

Parallel wurden an 5 Standorten insgesamt 8 Theateraufführungen des begleitenden Stückes „Tatverdächtige“ aufgeführt, welches den inhaltlichen Auftakt zu den Trainings darstellte. Zudem wurden 2 Schulkollegiumsfortbildungen, sowie eine schulübergreifende Fortbildung auf Grundlage der Deeskalationstrainings durchgeführt, um eine längerfristige Wirkung der Projektidee an den Schulen zu verankern. Einzelne Schulen führten zusätzlich zum Projektansatz auch noch kollegiumsinterne Fortbildungen durch.

 

Begleitet wurde die Umsetzung des Projektes durch einen Arbeitskreis mit Kontaktlehrerinnen und –leh-rern der einzelnen Schulen, in dem die  inhaltlichen und organisatorischen Absprachen getroffen wurden und Zwischenauswertungen stattfanden. 

 

 

Auswertung des Projektes

 

Bei der Durchführung der Trainings wurde nochmals deutlich, welche Notwendigkeit für die Durchführung einer solchen Maßnahme existiert. In verschiedenen Auswertungsrunden, mit dem Trainer und den Kontaktlehrerinnen und –lehrern der Schulen, ergab sich folgendes Bild:

 

Über den reinen Deeskalationsansatz hinaus, kam es in allen Klassen, ausgelöst durch die Trainings, zu intensiven Gesprächen und Diskussionen über das Miteinander in der Schule. Dies betraf nicht nur die Schülerinnen und Schüler untereinander, sondern auch das Verhältnis zu ihren Lehrerinnen und Lehrern.

 

Es wurde in ca. 80 % der  Klassengemeinschaften deutlich, dass es Außenseiter gibt, die unter ihrer Rolle sehr leiden. Die Ausgrenzung dieser Außenseiter vollzieht sich bis an den Rand des Mobbing und leider auch häufig darüber hinaus. Auf der anderen Seite gibt es starke Insidercliquen, die hohen Gruppendruck auf die Außenseiter erzeugen. Ein Dazugehören ist für das soziale „Überleben“ nahezu unverzichtbar, da andernfalls die Außenseiterrolle droht. Der Weg vom Täter zum Opfer und zurück ist daher oft ein sehr kurzer. Allerdings trifft es unverhältnismäßig oft Kinder und Jugendliche, die bereits durch Abweichungen von der Norm auffallen. Dazu zählen: Behinderungen, ein auffällig unattraktives, aber auch attraktives Äußeres, auffällig gutes, aber auch schlechtes Leistungsvermögen und manchmal auch nur das Tragen der falschen Klamotten. Mit anderen Worten: Jegliches Abweichen von einer durch Zeitgeist, Medien und dem Gruppenprozess der Klasse definierten Normierung wird sanktioniert.

 

 

Das Arsenal der Grausamkeiten ist dabei umfassend: Es wird gerempelt, beleidigt, geschlagen, intrigiert. Dabei ist es den Tätern häufig auch aus eigener Erfahrung sehr klar, welche Konsequenzen ihr Verhalten für das Opfer hat. Aus Scham oder Angst vor weiterer Ausgrenzung schweigen die Opfer häufig über die Vorfälle.

 

Es gab keine signifikanten Unterschiede zwischen den Schulformen und Altersklassen. Herr Steimel bestätigte auch, dass es sich bei den besuchten Schulen nicht um besondere Ausnahmefälle handele, sondern sich Hilden hier in regionaler Gemeinschaft befinde.

 

All diese Vorkommnisse wurden in den Klassen thematisiert und Täter und Opfer mit den Konsequenzen ihres Handelns konfrontiert. In den meisten Fällen kam es zu einem spontanen Verstehen der Situation auf seiten der Täter und damit zumindest zu einer Linderung für die Opfer. Sie hatten im Rahmen des Projektes möglicherweise erstmalig Gelegenheit über ihre Situation zu sprechen und sich damit Erleichterung zu verschaffen. Durch die Deeskalationsmethoden wurden konkrete Handlungskonzepte vermittelt, um in der nächsten Konfliktsituation zu bestehen. Täter und Täterinnen wurden durch Rollentausch in die Lage des Opfers versetzt, um die Konsequenzen ihres Handelns auch einmal am eigenen Leib zu erspüren.

 

Die durch das Training angerissene Thematik wurde in allen Klassen durch die Fachlehrerinnen und Fachlehrer weitergeführt, um zu einer dauerhaften Veränderung beizutragen. Von nahezu allen beteiligten Lehrerinnen und Lehrern wurde eine Weiterführung der Trainings für sinnvoll erachtet.

 

Allerdings wurde auch die Frage der Nachhaltigkeit eines einzelnen Trainings gestellt. Die Weiterbehandlung der dringenden Thematik verbleibt in der Verantwortlichkeit des Lehrers / der Lehrerin, die sich mit der Problematik häufig überfordert fühlen.  Curriculare Notwendigkeiten verhindern leider häufig eine kontinuierliche Arbeit am sozialen Thema, dass dann erst wieder in massiven Konfliktfällen dominant wird.

 

Im Rahmen der ersten Hildener Elternkonferenz wurden die Präventionsansätze auch den Klassenpflegschaftvorsitzenden der Hildener Schulen vorgestellt. Dabei erhielt gerade der Themenkomplex Deeskalationstrainings große Aufmerksamkeit. Insbesondere von Eltern aus dem Grundschulbereich gab es ein großes Interesse an diesem Projekt. Dabei wurde von den Eltern eine Unsicherheit von Kindern und Eltern im Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule angeführt. Hier ist eine sensible Schnittstelle, an der die Kinder aus der Sicherheit des Grundschulverbandes in die Herausforderung an einer weiterführenden Schule hineinwachsen.

 

Einige Eltern wünschen sich bereits in der 4. Grundschulklasse Deeskalationstrainings, um die Kinder auf den Übergang vorzubereiten. Prinzipiell können solche Trainings im Grundschulbereich in Einzelfällen auch durchaus sinnvoll sein. Ein flächendeckendes Angebot macht aber aus verschiedenen Gründen keinen Sinn:

 

Frau Hentschel von der Präventionsstelle  gegen Gewalt ist an nahezu allen Hildener Grundschulen mit ihrem bewährten Präventionskonzept aktiv. Dieses Konzept ist über einen Zeitraum von einer Woche angelegt und arbeitet mit den Kindern in sehr kleinen und vor allem spielerischen Einheiten. Auch wenn es hier vorrangig um das Thema sexuelle Gewalt geht, finden Elemente der allgemeinen Gewaltprävention, wie sie auch in den Deeskalationstrainings angewandt werden, Eingang. Dieses Vorgehen passt sowohl  von der Methodik als auch von der Nachhaltigkeit besser in den Grundschulbereich. Mit Frau Hentschel wurde vereinbart im kommenden Jahr die Elemente der allgemeinen Gewaltprävention etwas zu intensivieren, um die Schülerinnen und Schüler der 4. Klassen besser auf den Übergang vorzubereiten. Dieses Vorhaben wird in Kooperation mit dem Kommissariat Vorbeugung, Mettmann umgesetzt.

 

Hinzu kommt, dass die Arbeit nach dem Steimelansatz  in den 4. Klassen auch nicht mit Nachhaltigkeit durchgeführt werden kann, da sich die Klassenverbände mit Ende der Grundschulzeit auflösen.

 

 

Perspektiven

 

 

Das Fachamt favorisiert daher für die weitere Arbeit einen Ansatz der Deeskalationstrainings nach Steimel-Menschner ab der 5. Klasse in der weiterführenden Schule. Hier besteht die Chance möglichst früh auf die sich bildenden Klassenverbände Einfluss zu nehmen. Für eine größere Nachhaltigkeit sollen diese Klassen bis einschließlich der 7. Klasse einmal im Jahr mit einem Deeskalationstraining begleitet werden. In der 6. Klasse wird den Schülerinnen und Schülern dann das zugehörige Theaterstück „Tatverdächtige“ präsentiert.

 

Die Klassenlehrerinnen  und Klassenlehrer der beteiligten Klassen würden über einen begleitenden Workshop 2 mal pro Schuljahr fortgebildet. Entwicklungstände der Klassen rund um die Mobbing und Gewaltproblematik könnten in diesem Workshop thematisiert und in einer kollegiale Beratung unter den Lehrkräften auch bearbeitet werden. Die Koordination der Workshops würde vom Amt gewährleistet; zur fachlichen Beratung würden auch hier Experten der Steimel-Menschner-Projektgruppe einbezogen.

 

Insgesamt könnten so 20 Klassen an diesem Projekt teilnehmen. Die einzelnen Schulen bzw. Klassen müssten sich über einen Kooperationsvertrag für die Dauer von 3 Jahren zur Umsetzung des Projektes verpflichten. Die Auswahl der Klassen erfolgt durch das Fachamt nach einer auszuarbeitenden Prioritätenliste. Für das Theaterstück im 2. Jahr würde eine Kostenbeteiligung von 3 € pro Schüler/Schülerin notwendig. Die Mittel zur Umsetzung müßten im Zuschussbudget Jugendförderung zur Verfügung. (vgl. SV 51/65   Planungen im Jugendschutz) gestellt werden.

 

Zurzeit gibt es Bemühungen mit verschiedenen Fachhochschulen eine Projektbegleitung zur wissenschaftlichen Auswertung dieses Projektes zu realisieren.

 

 

 

 

 

 

Günter Scheib