Betreff
Bildungsnetzwerk Hilden, hier: Konzept zur Förderung besonders begabter Kinder
Vorlage
WP 09-14 SV 51/107
Aktenzeichen
III/51/Topp/Au
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag:

 

Der Jugendhilfeausschuss beschließt das Konzept zur Förderung besonders begabter Kinder innerhalb des lokalen Bildungsnetzwerks „Bildungsstadt Hilden“ zunächst für die Dauer der Pilotphase.

Die Auswertung der Pilotphase wird dem Jugendhilfeausschuss in seiner Sitzung am 24.11.2011 zur Kenntnis gebracht.  

 

Über die Bereitstellung der zusätzlichen finanziellen Mittel wird im Rahmen der Haushaltsplanberatung entschieden.

 


Erläuterungen und Begründungen:

Im Rahmen des mit Beschluss des Jugendhilfeausschusses und des Rates der Stadt Hilden vom 01.04.2009 in Kraft gesetzten Arbeitskonzeptes zur „Bildungsstadt Hilden“ wurde das Amt für Jugend, Schule und Sport mit Beschluss des Jugendhilfeausschusses vom 02.12.2010 beauftragt, ein Konzept zur Förderung besonders begabter Kinder in Hilden als ein Modul des Bildungsnetzwerks der Stadt Hilden vorzulegen.

Entsprechend dem im Rahmen des Arbeitskonzeptes zur „Bildungsstadt Hilden“ zu Grunde gelegten Bildungsverständnis wird Bildung einerseits ganzheitlich im Kontext der Entwicklung jedes Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit (SGB VIII, §1) gesehen, andererseits muss Bildung als zentrale, über die Person des Einzelnen hinausgehende gesellschaftliche Ressource betrachtet werden, die den Grad an sozialer Sicherheit und Wohlstand der ganzen Gesellschaft zukünftig maßgeblich mitbestimmen wird.

Herausragende Begabungen stellen dabei keine wirklich seltenen Phänomene dar. Aufgrund der statistischen Verteilung von Intelligenz und ihren Teildimensionen kann fast jedes 6. Kind als mindestens überdurchschnittlich begabt (IQ über 115) identifiziert werden. Richtet man den Blick auf einzelne Fähigkeitsbereiche dürfte der Anteil besonderer Begabungen insgesamt noch höher liegen. Gleichzeitig werden üblicherweise mehr als die Hälfte solcher Begabungen bei fehlender Sensibilisierung der pädagogischen Begleiter des Kindes (Lehrer, Lehrerinnen, Erzieher, Erzieherinnen etc.) verkannt oder übersehen. So zeigte bereits eine am Anfang des Aufbaus von Begabungsförderungsstrukturen in Düsseldorf 2001 durchgeführte Testung aller Erstklässler an sechs ausgewählten Düsseldorfer Grundschulen, dass gut 53% der Kinder mit überdurchschnittlicher Intelligenz von ihren Lehrern und Lehrerinnen nicht als besonders begabt erkannt worden waren. Ein immer wieder in der Forschung so oder ähnlich aufzufindendes Ergebnis.

Im Kontrast dazu stellt z.B. das Schulgesetz des Landes NRW (Fassung vom 1.1.2011) in §2 (11) lapidar fest: „Besonders begabte Schülerinnen und Schüler werden durch Beratung und ergänzende Bildungsangebote in ihrer Entwicklung gefördert.“ Dass die Realisierung dieser Vorgabe ohne zusätzliche Sensibilisierung von Fachkräften und ohne systematische Strukturierung von Förderangeboten weitgehend erfolglos bleibt, ist die Erfahrung vieler Eltern von begabten Kindern (s.u.).

Wo Begabungen aber übersehen werden, bleiben einerseits für die Gesellschaft Leistungspotentiale ungenutzt, andererseits wird das Recht des Kindes auf eine seiner Persönlichkeit und seinen Fähigkeiten entsprechende Entwicklung (hierzu wieder SGB VIII, §1) verletzt – mit dem Risiko weiterer negativer Folgen für Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung.

 

Bedingungen und Risiken im Entwicklungsprozess kindlicher Begabungen

Die Entfaltung von Begabungen

Das Thema „Begabungen“ wird oft im Zusammenhang mit dem „Intelligenz“-Konzept diskutiert. Dieses Konzept hat ausgehend von der Idee einer allgemeinen intellektuellen Fähigkeit, die den Menschen befähigt, sich in seinem Denken an je neue Bedingungen des Lebens anzupassen (W.Stern 1920, Spearman 1904, 1927), in seiner Geschichte vielfältige Neudefinitionen und unterschiedlichste Messversuche erfahren. Bereits diese „allgemeine Intelligenz“ wird als Fähigkeit oder „Potential“ zu bestimmten Leistungen gefasst. In Modellvorstellungen zur Hochbegabung ist der Begriff des Potentials zentral: Hochbegabung, besondere Begabungen, Talente zeigen sich nicht automatisch in besonderen oder besonders guten Leistungen. Vielmehr braucht es zum „Sichtbar-Werden“ außergewöhnlicher Fähigkeiten zusätzlich besondere Randbedingungen wie z.B. stabile Motivation und Leistungswille, besondere Kreativität, gute soziale Kompetenzen und Anpassungsfähigkeit zur optimalen, selbstgesteuerten Nutzung von Anregungen und Hilfen aus der (sozialen) Lernumgebung.

Hintergrund für diese Modelle sind moderne transaktionale Theorien zur kindlichen Lernentwicklung. Damit ist gemeint, dass einerseits Eltern, Erzieher und Pädagogen ein Kind nach ihren Vorstellungen fördern, andererseits jedes Kind durch sein Verhalten seine „Förderer“ dazu einlädt, in z.B. stärkeren Leistungsbereichen höhere Anforderungen zu stellen, in schwächeren niedrigere.

Dementsprechend braucht es in unterschiedlichen Interessensbereichen unterschiedliche Lernanregungen und auch Leistungschancen. Besondere Begabungen bleiben dort verborgen, wo Kind und Lernumwelt nicht zueinander „passen“.

 

Entwicklungsrisiken im Zusammenhang mit besonderen Begabungen

Es dürfte jedem, der einmal selbst Schüler war, bekannt sein, dass Schüler, die relativ zu ihren selbst eingeschätzten Fähigkeiten eine schlechte Note bekommen, Gefühle wie Enttäuschung, Ärger, „Frust“ hinter sich lassen müssen, um wieder mit Motivation ans Lernen gehen zu können. In Befragungen von derart frustrierten Schülern gaben Schüler mit höherem IQ größere Schwierigkeiten der Selbstmotivierung als Schüler mit niedrigerem IQ an (Baumann, Gebker & Kuhl 2010).

Konkret müssen Kinder im Lauf ihres Lernlebens Soft-Skills wie Stress- und Frustrationsbewältigung, effektive Lernstrategien und andere Selbststeuerungsfähigkeiten trainieren, um auch unter widrigen Bedingungen nicht aufzugeben. Besonders begabte Kinder, aber auch sehr durchsetzungsstarke, eigenwillige Kinder stehen in der Gefahr, diese „Skills“ seltener zu trainieren. Eine Folge schwächerer Selbstmotivierung nach Frustrationen kann sein, dass Kinder, die eigentlich für die jeweiligen Fachgebiete begabt sind, aufgrund ihres abnehmenden Engagements in ihrer Begabung unentdeckt bleiben.

Unentdeckt bleiben oft auch besonders begabte Mädchen. Unter den an schulpsychologische Dienste gerichteten Anfragen zur Klärung, ob eine förderbedürftige Hochbegabung vorliegt, aber auch unter den Anmeldungen zu besonderen Programmen der Begabtenförderung (z.B. Hector-Seminare, Schülerakademien etc.) finden sich bis zu dreimal so viele Jungen wie Mädchen. Werden dagegen IQ-Werte in repräsentativen Schülerstichproben erhoben, finden sich Jungen und Mädchen zu gleichen Anteilen unter den Kindern mit überdurchschnittlicher Begabung (IQ über 115).

Begabungen, die nicht auf passende Anregungswelten treffen, bleiben tendenziell unerkannt. Bekannt ist, dass Kinder, die aus Familien kommen, in denen Bücher und Lesen zum Alltag gehören, in ihrer Sprachentwicklung und später auch in ihren Schulnoten besser abschneiden. Sprachliche Begabungen von Kindern aus z.B. fremdsprachigen Familien ohne Alltagslesekultur werden oft erst später wahrgenommen. Hinzu mögen gesellschaftliche Bewertungstendenzen kommen: Intelligenzwerte von Kindern aus nicht deutschsprachigen Familien mit Migrationshintergrund werden häufiger unterschätzt (z.B. in genannter Düsseldorfer Untersuchung).

Ein besonderes Problem von besonders begabten Kindern sind die vermehrt zu beobachtenden „Entwicklungsasynchronien“* (Terrassier 1982): Damit ist gemeint, dass einzelne Fähigkeitsbereiche, z.B. analytisches Denken und Denkgeschwindigkeit, sich rasant entwickelt haben, während andere Fähigkeitsbereiche deutlich langsamer entwickelt sind. So können z.B. intellektuell besonders begabte Kindergartenkinder unter ihren weniger gut entwickelten Malfertigkeiten leiden. Oder Kinder mit starkem visuell-räumlichem Auffassungsvermögen, die in der tätigen Erkundungswelt der Kita ihre Potentiale an immer neuen Objekten erproben konnten, werden in einem stark verbal-akustisch gestalteten Unterricht entmutigt.

Erleben von Unterforderung, Schulfrustration, Konzentrationsschwäche, Langeweile, problematisches Arbeitsverhalten, Passivität, Störverhalten, aber auch emotionaler Rückzug in die eigene Welt, perfektionistische Neigungen, überstark sensibles Reagieren auf Lautstärke, soziale Auseinandersetzungen etc. bis hin zu fehlender Integration in der Klasse oder Mobbing können bei dauerhaftem Missverhältnis von Begabungsstruktur und Anregungsbedingungen schließlich entstehen.

Status quo der Begabtenförderung in Hilden

Um Strukturen und Strukturdefizite in der Begabungsförderung gegeneinander abzuschätzen, wurde vom Bildungskoordinator des Amtes für Jugend, Schule und Sport im Herbst 2010 zunächst eine Onlinebefragung von Fachkräften, die aufgrund ihres Arbeitsfelds im Bildungsbereich, in Kita, Schule oder anderen Bildungsträgern, potentiell mit der Förderung begabter Kinder befasst sein könnten, durchgeführt. Bei einer Rücklaufquote von knapp 50% (von 90 angeschriebenen Fachkräften) äußerte die Hälfte der Antwortenden explizit Unterstützungsbedarf – sei es in fachlichen Fragen zu diesem Thema für sich selbst, sei es als spezialisiertes Beratungsangebot für Eltern begabter Kinder, sei es bezogen auf Erkennung und Diagnose begabter Kinder. Über 90 % der Befragten attestierten dem Thema eine sehr große oder große Bedeutung für die Arbeit in der eigenen Einrichtung. Auf die Frage, ob sie Zugang zu professionellen Informationen über Erkennung und Förderung von besonderen Begabungen hätten, gaben 23% an, über eigenes Expertenwissen zu verfügen und dieses anzuwenden. 37% gaben an, trotz noch zu geringer eigener Expertise wenigstens gut zu wissen, wo sie weiterführende Hilfe zum Thema fänden – die Angaben bezogen sich dabei großteils auf die in Düsseldorf bereits geschaffenen, für Hildener Bürger aber nicht kostenfreien, Diagnose- und Förderangebote. Schließlich äußerte ein weiteres Drittel der Antwortenden, bislang überhaupt nicht zu wissen, wohin sie sich wenden könnten (30%).

Im nächsten Schritt wurden Eltern begabter Kinder, die bereits einige Jahre Erfahrung mit Förderstrukturen und den Lernwegen ihrer Kinder gemacht haben, durch einen Aufruf in der Tagespresse  und über Aushänge in den Schulen zu einer Austauschrunde über ihre Erfahrungen eingeladen. Es fanden zwei angeregte Gesprächsabende mit hochengagierten Eltern, moderiert von der Leiterin des Amtes für Jugend, Schule und Sport, Frau Aubel, und dem Leiter der Psychologischen Beratungsstelle, Herrn Topp, statt. Positive äußere Förderbedingungen für die Entwicklung der Kinder wurden dabei nur in wenigen Einzelfällen berichtet. Eher sahen die Eltern die Gefahr der Entmutigung der Kinder in ihrem Lern- und Erkundungseifer durch unflexible Lehrstoffe. Auf der anderen Seite konnten durchaus übergreifend über mehrere Kinder bestimmte soziale Kompetenzen und die soziale Anschlussfähigkeit dieser Kinder als wichtige Schutzfaktoren, gewissermaßen Überlebensfähigkeiten in weniger förderlichen Umgebungen identifiziert werden. Der Impuls des Amtes für Jugend, Schule und Sport zur Beförderung eines systematischen Aufbaus von Begabungsförderungsstrukturen in Hilden wurde von den Eltern prägnant mit dem Satz „Endlich wacht Hilden auf!“ kommentiert.

Schließlich konnte in zwei Gesprächsrunden mit zwei Vertreterinnen der Elterngruppe, mit der Leiterin der Wilhelm-Busch-Schule, einer Lehrerin der Grundschule Schulstraße sowie der Leiterin des Familienzentrums an der Erlöserkirche gemeinsam über Bedarf und Realisierungsmöglichkeiten eines Modellprojekts zum systematischen Anschieben gelingender Begabtenförderung auf dem Bildungsweg von der Kita in die Grundschule gesprochen werden. Im Hintergrund war auch die Leiterin des neu gestalteten Familienzentrums „Die Arche“ beteiligt.

Als zentrales Ergebnis stellte sich heraus, dass Begabungsförderung im beschriebenen Sinn bislang nur unsystematisch und abhängig vom persönlichen Einsatz einzelner Pädagogen und Pädagoginnen erfolgt. Fortbildungsstrukturen fehlen weitgehend. Auf diagnostisches Know-how in der Identifizierung begabter Kinder und fachdidaktisches Wissen zur Gestaltung begabungsprovozierender Lernwelten können die pädagogischen Fachkräfte nur schwierig zugreifen. Der Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten vor dem Hintergrund zu vermutender Entwicklungsasynchronien (s.o.) verschlingt einen Großteil der pädagogischen Zeit, die eigentlich für gezielte Begabungsförderung notwendig wäre. Schließlich kommt es angesichts dieser schwierigen Bedingungen immer wieder zu Reibungsverlusten in der Zusammenarbeit zwischen Pädagogen und Elternschaft. Eine systematische Unterstützung der Eltern bei der Entwicklung eines eigenen, fachlich reflektierten Umgangs mit dem eigenen Kind und seinen je nach Fähigkeitsbereich unterschiedlichem Förderbedarf misslingt immer wieder in den pädagogischen Einrichtungen vor Ort.

Über die Willenserklärung der Gesprächsbeteiligten aus Wilhelm-Busch-Schule und Familienzentrum an der Erlöserkirche hat sich ganz konkret ein erster Steuerungskreis für den Aufbau eines „Tandem-Modellprojekts zur Begabtenförderung“ an diesen beiden Einrichtungen gebildet.


Handlungserfordernisse

Die Ergebnisse unserer Befragungen von Eltern und Fachleuten zur Begabungsförderung in Hilden lauten zusammengefasst: Individuelle Entwicklungs- und Lernförderung des Kindes muss  in Hilden noch zielgerichtet entwickelt und systematisiert ausgebaut werden. Derzeit erfolgt sie abhängig vom besonderen Engagement von Einzelpersonen und von Zufällen. Das Erkennen von besonderen Begabungen geschieht oft noch nicht mit geschultem Blick. Dass noch keine der Hildener Schulen das „Gütesiegel Individuelle Förderung“ des Landes Nordrhein-Westfalen trägt, zeigt ebenso diesen Entwicklungsbedarf in Hilden wie die erfragten Einschätzungen von Fachleuten und kundigen Eltern.

Dies ist umso bedeutender, da grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass ein gut geschulter, gezielter Blick auf die Begabungen jedes Kindes Voraussetzung für passgenaue Lernanregungen ist. Davon profitieren alle! Kinder: Aufgaben, die entweder zu schwer oder zu leicht sind, führen zu Enttäuschung, Lustlosigkeit, innerem Rückzug – das gilt für Versetzungsgefährdete wie für Überflieger (vgl. z.B. das Komm-Mit-Projekt für Versetzungsgefährdete unter dem Gütesiegel Individuelle Förderung). Fesselnder, motivierender Unterricht lebt davon, dass die Kinder Aufgaben lösen lernen, die gerade ein Stück weit über ihre bisherigen Fähigkeiten hinausgingen!

Begabungsförderung in Hilden auf einen modernen Stand zu bringen, heißt daher:

-        Aufbau systematischer Fortbildungsstrukturen für Erzieher, Erzieherinnen, Lehrer und Lehrerinnen zum Thema individuelle Begabungsidentifizierung und –förderung (incl. Beobachtungstrainings, Sensibilisierung u.a. für geschlechter-, herkunftsbedingt versteckte Begabungen etc.)

-        Verbreitung von begabungsprovozierenden Lernorten, wo Begabungspotentiale gezielt beobachtet werden können. Schaffung breiter Zugänge zu diesen Orten für alle Hildener Kinder

-        Systematische Beobachtung verschiedener Entwicklungsbereiche für begabte Kinder und Angebote passender Förderkurse, -programme für langsamer entwickelte Fähigkeiten (z.B. soziale Kompetenz, Aufmerksamkeit, selbstreguliertes Lernen, Frustrationsbewältigung, etc.)

-        Koordinierung von Förderstrukturen über alle Stufen des Bildungswegs von Kita bis weiterführender Schule hinweg

-        Schaffung und Vermittlung von fachkundigen Beratungs- und Unterstützungsnetzen für Eltern begabter Kinder

-        Regelmäßiges, schulpsychologisch unterstütztes Clearing für schwierig zu stellende Begabungsdiagnosen, für komplizierte Interaktionen von Begabungsentwicklung und Verhaltenssteuerung besonders begabter Kinder, für besonders hochgradige Entwicklungsasynchronien

-        Erleichterung des Zugangs zu begabungsspezifischem Fachwissen für pädagogische Fachkräfte wie für Eltern.

 

Bildungsvision: Begabungsförderung, Begabungsfreude und Teamgeist

Alle Hildener Kinder sollen während ihres gesamten Bildungswegs in Hilden Zugang zu Lernwelten haben, wo die individuellen Fähigkeitspotentiale in den unterschiedlichen Fähigkeitsbereichen (im kognitiven, sozialen, emotionalen, künstlerischen, motorischen Bereich etc.) differenziert und breit angeregt werden und wo gleichzeitig sowohl Über- als auch Unterforderung gezielt pädagogisch zu vermeiden gesucht wird.

Lernfreude, Entdeckerfreude, eigenständiges Lernen und Einsatzfreude werden ausdrücklich in allen Bildungseinrichtungen begrüßt und gefördert. Gruppennormen, die Leistungs- und Anstrengungsbereitschaft entmutigen, wird mit gemeinschaftlichen Projekten wiederkehrend entgegengewirkt. Durch die spezifische Ausgestaltung derartiger Projektarbeiten wird in besonderer Weise das Zusammenarbeiten von Kindern mit unterschiedlichsten Begabungen für Alle als Gewinn erlebbar. Soziale Integration und Teamgeist werden in der Breite gestärkt bei gleichzeitiger Zunahme von Wertschätzung gegenüber der Unterschiedlichkeit von Begabungen und Persönlichkeiten.

 

Handlungsumsetzung: Tandem-Modellprojekt zur Begabtenförderung

Die beschriebenen Handlungserfordernisse sollen im Rahmen eines Modellprojektes an der Schnittstelle zwischen Kita und Grundschule modellhaft umgesetzt werden. In der ersten Modellphase werden dafür ein oder zwei „Tandems“ aus je einer Kita und einer Grundschule einbezogen. Wegen der bereits erfolgten Willensbekundung sind dafür die Wilhelm-Busch-Schule und das Familienzentrum an der Erlöserkirche als erstes Tandem gesetzt. Nach Möglichkeit rücken Grundschule Schulstraße und Familienzentrum „Die Arche“ im laufenden Jahr noch nach.

Die ersten Umsetzungserfahrungen sollen im Frühjahr 2012 ausgewertet werden und für die Optimierung des Programms genutzt werden. Zum darauf folgenden Einschulungsjahr 2012/2013 ist eine Ausweitung auf mindestens 2 weitere Tandems geplant.

 

Zielgruppen und Teilnahmeeinschränkungen

Das Modellprojekt soll zunächst in den Modellschulen primär auf den jeweiligen Einschulungsjahrgang 2011/2012 begrenzt sein. In den Modellkitas ist mit dem Übergang der Kinder in die Schule die Einbeziehung des nächsten Einschulungsjahrgangs 2012/2013 nahtlos möglich.

Entsprechend dem hier vertretenen breiten und vielgestaltigen Begabungsverständnis sollen möglichst viele, möglicherweise sehr unterschiedlich begabte Kinder Zugang zu den angezielten Förderstrukturen finden. Dazu zählen: besonders pfiffige Kinder, in besonderen Bereichen begabte oder talentierte Kinder, für spezifische Themen hochgradig motivierte Kinder, besonders anstrengungsbereite, fleißige Kinder, Kinder mit besonderer Sensibilität, Team-kompetente Kinder, klassisch hochbegabte Kinder, Lernstoffüberflieger oder Schulversager, deren Potentiale entwickelt werden (vgl. z.B. NRW-Komm-Mit-Projekt der Schulen).

Weil klassische IQ-Werte bis zum Beginn der Sekundarschulzeit bei Wiederholungsmessungen noch Veränderungen um gut 10 bis 20 Punkte erfahren können, hohe Stabilität gemeinhin erst ab etwa dem 12.Lebensjahr sicher ist, und weil in dem hier vorgestellten Ansatz Begabungsidentifizierung als vielgestaltiger bunter Anregungsprozess verstanden wird, der ein möglichst breites Spektrum von Fähigkeiten zum „Einsatz lockt“, wird auf eine Zielgruppeneinschränkung nach IQ-Werten verzichtet. Stattdessen werden multiple Beobachtungssystematiken einschließlich provozierender Beobachtung im Verlauf wiederholt eingesetzt.

Es wird eine aktive Einbeziehung von mindestens 15% aller Kinder des jeweiligen Jahrgangs in der Schule erwartet (ca. 70 Kinder je Jahrgang). In der Kita ist wegen der Fokussierung auf der allgemeinen, freien Entfaltung der Persönlichkeit des Kindes von einem größeren Einbeziehungsgrad bei allen Begabungsförderungsangeboten auszugehen. Gleichzeitig wird eine besondere Häufung von individueller geplanten Lernanregungen auch dort nur für 15% erwartet.

 

Projektablauf, Konkrete Förderschritte und Instrumente

Fortbildungsmaßnahmen im Rahmen des Tandem-Modellprojekts

Level 1

Für die kommenden Einschulungsjahrgänge wird in den kooperierenden Modelleinrichtungen, Kita und Grundschule, für alle pädagogischen Fachkräfte gemeinsam je eine Einstiegsfortbildungsveranstaltung zur primären Sensibilisierung für die Thematik angeboten.

Level 2

Für alle mit den Einstiegsjahrgängen des Projekts arbeitenden Lehrer, Lehrerinnen, Erzieher und Erzieherinnen wird ein erstes vertiefendes Curriculum zur Wahrnehmungsschulung mit begrenzter Dauer (z.B. 6 Lehreinheiten über 9 Monate) angeboten.

Parallel werden in den ersten 9 Monaten zusätzliche Veranstaltungen zur Fachdidaktik in der Begabungsförderung / Projektarbeit etc. mit externen Referenten vermittelt.

Level 3

Über einen 2-3-Jahreszeitraum Qualifizierung von einzelnen ausgewählten Erziehern, Erzieherinnen, Lehrern und Lehrerinnen mit Bereitschaft zukünftig begabungsförderungsspezifische Beratungsaufgaben für das Kollegium zu übernehmen. Als Qualifizierungsmaßnahmen bieten sich das ECHA-Diplom „Specialist in Gifted Education“ für Lehrer und das ECHA-Zertifikat „Specialist in Pre-School Gifted Education“ / alternativ das IHVO Zertifikat „Hochbegabtenförderung im Vorschulbereich“ für Erzieher an.

Elternarbeit

Ziele einer Elternarbeit auf der Basis von allgemeinen Elternvorträgen und Elterngesprächskreisen

§         Schulpsychologische Edukation zum Begabungsthema, im Besonderen:

§         Reflexion über eigene Leistungserwartungen an das begabte Kind: Abgrenzung günstiger Verstärkungsweisen von einseitig persönlichkeitseinschränkenden, überfordernden Erwartungen

§         Vermittlung von Trainings zum Umgang mit „klugen Kindern“ (z.B. KliKK®)

§         Abbau von allgemeinen Ressentiments gegenüber besonderen Begabungen, Aufbau differenzierenden Verständnisses für individuelle Stärken und Schwächen aller Kinder

§         Unterstützung von gegenseitiger Hilfestellung und Beratung unter Eltern, Stärkung von Eltern durch Aufbau eigener Begabungsexpertise in Elterninitiativen, Kontaktvermittlung mit Hochbegabtenvereinen

Zentrale Koordinationsstellenarbeit für die weitere Förderstrukturentwicklung

§         Aufbau eines vielfältigen Fördermethoden-bezogenen Ideen/Konzept-, Materialien- und Referenten-Pools und aktive Vermittlung an Schulen und Kitas

o        Koordination mit systemspezifischen Fachberatungen.

o        Unterstützung beim Zugang zu innovativen auf Begabungsförderung gerichteten Netzwerken (z.B. Chancen-NRW, Netzwerke begabungsfördernder Kitas etc.).

§         Koordination und Vermittlung außerschulischer Bildungsangebote für begabte Kinder

§         Begleitung von Schulen und Kitas bei der Entwicklung innovativer Fördermethoden für Begabungen (Kurse zu Arbeitstechniken, zu kooperativen Arbeitsformen, Wettbewerbe, Mentorensysteme für Begabungsentwicklung, Montessori-Strukturen, altersgemischtes Arbeiten, „Forscherprojekte“, gezielte Stimulierung neuer Interessensgebiete etc.).

o        Koordination der kommunalen Unterstützungsmöglichkeiten für Schulen und Kitas (Materialien, Honorare)

o        Ausgehend von den einrichtungsspezifischen Erfahrungen Entwicklung von übergeordneten, für Einrichtungstypen (Elementar-, Primar-, Sekundar-Bereich) formulierten Rahmenkonzepten der Begabungsförderung

§         Organisation regelmäßiger interdisziplinärer Fallkonferenzen zur Lösung schwieriger Förderprozesse in Einzelfällen

§         In Zusammenarbeit mit dem Bildungskoordinator Koordination einer einrichtungsübergreifenden Steuerungsgruppe und Organisation von Fachforen, Tagungen etc. zur praxisnahen Weiterentwicklung spezifischer Themen der Begabungsförderung (z.B. Akzelerationsthemen Früheinschulung, Überspringen von Klassen, Ausgleich asynchroner Entwicklungen, besondere Lernherausforderungen sozialer, emotionaler Art)

Schulpsychologische Einzelfalldiagnostik und -beratung

§         Bei unklaren, konflikthaften, problematischen Ergebnissen der pädagogischen Fördermaßnahmen (z.B. bei hochgradigen Entwicklungsasynchronien, emotionalen, sozialen und verhaltensmäßigen Begleitstörungen)

 

Ressourcen

Personelle Ressourcen

Der Teilbereich „Einzelfallberatung in stagnierenden kindlichen Entwicklungsprozessen“ wird als Standardleistung durch die Psychologische Beratungsstelle vorgehalten.

Punktuelle schulpsychologische Einzelvorträge sind ebenfalls Teil des bisherigen Leistungsangebots der Beratungsstelle.

Eine Ausweitung auf systematische Schulungsveranstaltungen wie das Level 2-Curriculum für Lehrer, Lehrerinnen, Erzieher und Erzieherinnen zur Wahrnehmungsschulung, ebenso wie ausgedehnte themenspezifische Elternvortragsreihen u.U. ergänzt durch Fachbegleitung für Elterninitiativen wäre derzeit nur durch massive Einschnitte bei den von der Beratungsstelle angebotenen Einzelberatungen möglich (i.e. weniger Aufnahmen, längere Wartezeiten). Dies ist angesichts eines bereits seit langem hohen Anteil von Fallberatungen in der Beratungsstelle mit hoher Dringlichkeit nicht akzeptabel. Folglich sind für diesen Aufgabenbereich perspektivisch zusätzliche Personalressourcen erforderlich.

Auch eine Zunahme von Einzelberatungsanfragen in der schulpsychologischen Begabungsberatung, die bei zunehmender Thematisierung des Themas in der Bevölkerung ebenfalls zu erwarten ist, würde bei fehlenden zusätzlichen Personalressourcen Einschnitte hinsichtlich des sonstigen Beratungsangebots unvermeidlich machen.

Schließlich kann für den Aufgabenbereich „Koordinationsstelle für Informationsvernetzung und allgemeine Strukturentwicklungen“ bei intensiver Abfrage durch die Modelleinrichtungen wegen der Breite des Tätigkeitsfelds incl. Systementwicklungsbegleitung für Schulen und Kitas umfassend systemberaterische und gleichzeitig (schul-)fachdidaktische Expertise  in größerem Umfang erforderlich werden.

Der genaue personelle Bedarf ist derzeit nicht abschließend einschätzbar. Es ist daher eine Testphase im ersten Halbjahr (März bis Oktober) vorgesehen. Die Abschätzung des dauerhaften personellen Bedarfs (i.e. Stellen, Qualifikationen) soll über die tatsächliche Entwicklung der Anfragezahlen an Beratung, Coaching, Training etc. erfolgen. Über das Ergebnis wird der Jugendhilfeausschuss in seiner Sitzung am 24.11. unterrichtet werden.

Für die Pilotphase müssen ausreichend Honorargelder zur Verfügung gestellt werden, die den in der bereits entstandenen Tandem-Steuerungsgruppe gewünschten unmittelbaren Modellprojektbeginn solide ermöglichen. Mit Hilfe dieser Mittel soll eine Honorarkraft beschäftigt werden, welche die für den Aufbau des Projektes notwendigen Strukturen aufbaut und betreut. Hierfür sind ca. 4.500 € erforderlich.

Referenten und Materialanschaffungen

Für Honorare für externe Referenten sind in der ersten Modellphase mit maximal 2 Tandem-Einrichtungen pro Jahr 3 bis 4 Workshops je teilnehmender Einrichtung vorgesehen. Es ist eine Selbstbeteiligung der Einrichtungen wünschenswert. Bei möglichen Workshopkosten von 350 €, sind für die Pilotphase etwas 2.500 € an Honorarkosten einzustellen. Zusätzlich ist im ersten Halbjahr von Kosten für Fachmaterialien in Höhe von 2000 €, insbesondere für die Anschubphase der jeweiligen Modelleinrichtungen, auszugehen.

Mittelfristig werden für die spezialisierten externen Fortbildungsgänge (ECHA-Zertifikate etc.) weitere Kosten entstehen, wozu mit den beteiligten Einrichtungen über anteilsmäßige Übernahme verhandelt werden müsste. Außerdem soll geprüft werden ob Drittmittel (u.a. Stiftungsfelder, Sponsoring) eingeworben werden könne.

Gesamtaufwand für die erste Modellphase bis Ende 2011

Um im ersten halben Jahr zu einer belastbareren Abschätzung des tatsächlichen Unterstützungsbedarfs aller zukünftigen Modelleinrichtungen zu kommen, sollte ein Gesamtpool von 9.000 € Sachkosten für Honorarmittel, externe Referenten, Fortbildungen, etc. bereitgestellt werden.

 

Horst Thiele



* „asynchron“ hier als „nicht gleich schnell“



Finanzielle Auswirkungen  

 

Produktnummer

060316

Bezeichnung

Psychologische Beratungsstelle

Investitions-Nr.:

 

 

Mittel stehen zur Verfügung:

Nein

 

 

Haushaltsjahr:

2011

 

 

 

 

Der Mehrbedarf besteht für folgendes Produkt:

Kostenstelle

Kostenträger

Konto

Betrag €

 

5140000020

neu

501900

7.000 €

 

 

543400

2.000 €

Die Deckung ist durch folgendes Produkt gewährleistet:

Kostenstelle

Kostenträger

Konto

Betrag €

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Finanzierung:

 

 

Vermerk Kämmerer:

 

Die Mittel sind im Entwurf nicht enthalten!

 

Bei positiver Beschlussfassung muss der zusätzliche Aufwand von 9.000,- € für die Pilotphase des ersten halben Jahres 2011 über die Änderungsliste aufgenommen werden.

 

 

Klausgrete